Deutscher Mindestlohn kommt kaum voran
WSI-Mindestlohnbericht 2025
Nur wenig dynamisches Wachstum in Deutschland
ba Frankfurt
15 Euro. So hoch müsste der deutsche Mindestlohn eigentlich sein, um dem Referenzwert zu entsprechen, der Arbeitnehmern einen angemessenen Lebensstandard sichert, wie es in der europäischen Mindestlohnrichtlinie heißt. Mit aktuell 12,82 Euro wird die Messlatte von 60% des Medianlohns, aber auch der Maßstab von 50% des Durchschnittslohns deutlich verfehlt. Wie schwach die Dynamik hierzulande ausfällt, zeigen der Blick in die Vergangenheit ebenso wie der europäische Vergleich.
Einführung heftig umstritten
Zu Jahresbeginn 2015 war der Mindestlohn mit 8,50 Euro eingeführt worden, und die Sorgen waren groß, dass nun tausende Jobs vernichtet würden. Nach sieben Anpassungen lag der Mindestlohn 2022 mit 10,45 Euro inflationsbereinigt wieder auf dem Ausgangsniveau. Die Anhebung durch den Bundestag auf 12 Euro zum 1. Oktober 2022 – ein Wahlkampfversprechen der SPD – brachte zwar einen deutlichen Sprung. Doch in den zehn Jahren seit seiner umstrittenen Einführung hat sich insgesamt nicht viel getan. In der jahresbezogenen Betrachtung ist er unter der Ägide der Mindestlohnkommission um 16,1% gestiegen, monatsbezogen ergibt sich ein Plus von 13,6%.
Die unabhängige Mindestlohnkommission sollte verhindern, dass der Mindestlohn von der Politik bestimmt wird. Im eben beendeten Bundestagswahlkampf forderte die SPD, den Betrag bis 2026 auf 15 Euro zu erhöhen, die Grünen wollten den Mindestlohn in diesem Jahr ebenfalls auf 15 Euro hieven. Der scheidende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte zuletzt die Zahl von sieben Millionen Arbeitnehmern, die von einer Erhöhung des Mindestlohns profitieren könnten. Destatis-Zahlen, die die Linken im Bundestag abgefragt hatten, gehen von 9,5 Millionen potenziellen Profiteuren aus. Bei 24,4% der Jobs läge der Stundenlohn unterhalb der 15 Euro-Marke, wobei Frauen mit 27,9% häufiger betroffen sind als Männer mit 21,1%.
Fuest gegen Mindestlohnerhöhung auf 15 Euro
Ifo-Präsident Clemens Fuest mahnte vergangene Woche, dass die aktuelle Wirtschaftslage eine Erhöhung auf 15 Euro nicht hergebe. „Unsere Wirtschaftsleistung schrumpft seit zwei Jahren. Die durchschnittlichen Arbeitseinkommen steigen trotzdem, aber nicht annähernd im Umfang der geforderten Mindestlohnerhöhung“, sagte Fuest. Der Sprung auf 15 Euro entspräche einem Anstieg von 25%, wohingegen die Tariflöhne von 2023 auf 2025/26 voraussichtlich nur um 13% zulegen dürften.
Per Saldo wurde bislang gerade einmal der inflationsbedingte Kaufkraftverlust ausgeglichen. In der neuen Geschäftsordnung, die sich die Mindestlohnkommission im Januar gegeben hat, steht nun die Orientierung an der Tariflohnentwicklung sowie an den 60% des Medianlohns auf der Agenda. Aktuellen Daten zufolge für das Jahr 2023 zufolge erreichen nur drei Länder diesem Ziel: Portugal (68,2%), Slowenien (63,0%) und Frankreich (62,2%). Deutschland kommt auf 51,7%. In vielen europäischen Nachbarländern gab es in den vergangenen zehn Jahren merklich kräftigere Erhöhungen des Mindestlohns, etwa in Spanien, Portugal oder Großbritannien.
Spanne wird geringer
Im europäischen Vergleich rangiert Deutschland zwar in den Top-Ten, Spitzenreiter Luxemburg aber ist mit 15,25 Euro weit enteilt. Die Mindestlöhne in Süd- und Osteuropa liegen generell etwas niedriger, wobei kräftige Erhöhungen in den osteuropäischen Ländern das Gefälle in der EU zuletzt deutlich verringert haben. Werden die unterschiedlichen Steuer- und Abgabensysteme sowie Lebenshaltungskosten berücksichtigt, relativieren sich die Mindestlohnunterschiede zudem: So fallen die Mindestlöhne in Westeuropa in Kaufkraftstandards gerechnet niedriger aus, in Ost- und Südeuropa höher.
Mit dem nominalen Anstieg um 3,3% von 12,41 auf 12,82 Euro bleibt für die Bundesrepublik EU-weit gerade mal der 18. Platz. Da die Inflation um 2,5% gestiegen ist, bleibt real ein schmales Lohnplus von 0,8%. Im Median der 22 EU-Länder mit einem allgemeinen Mindestlohn ergibt sich ein Anstieg um nominal 6,2% bzw. inflationsbereinigt 3,8%. Laut des WSI-Mindestlohnberichts haben 18 der 22 EU-Länder mit einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn diesen zum 1. Januar 2025 erhöht. Belgien, Frankreich und Griechenland haben dies bereits im Jahresverlauf 2024 getan. Allein Zypern passt seinen Mindestlohn im zweijährigen Turnus an. In den elf Ländern mit realen Zugewinnen unterhalb des Medians leben dem WSI zufolge 256 Millionen Menschen, während es in den Ländern mit Steigerungsraten oberhalb des Medians 103 Millionen sind.
EuGH-Urteil dürfte Erfolg nicht schmälern
Sollte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem für Anfang Mai erwarteten Urteil die europäische Mindestlohnrichtlinie annullieren, wäre dies zwar ein schwerer Schlag für die Idee eines sozialen Europas, wie es in der Studie heißt. Sie habe aber schon jetzt „in vielen europäischen Ländern den Diskurs um die Angemessenheit von Mindestlöhnen geprägt und Veränderungen in der nationalen Mindestlohngesetzgebung und -politik angestoßen“. Eine Klage Dänemarks von 2023 hatte die Europarechtskonformität der europäischen Mindestlohnrichtlinie in Zweifel gezogen: Die EU habe wegen der Regelungssperre zu Fragen des Arbeitsentgelts in Artikel 153 (5) des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) keine Kompetenzen zur Verabschiedung der europäischen Mindestlohnrichtlinie, so die Argumentation. Dieser schloss sich der Generalanwalt beim EuGH im Wesentlichen an. Die juristischen Dienste von Kommission, Rat und Parlament hingegen stellen darauf ab, dass keine direkten Vorgaben für eine bestimmte Lohnhöhe gemacht würden.
