Nützliche Fußballweisheiten für Spaniens Krisenpolitik
Mit Spaniens schwerer Wirtschafts- und Schuldenkrise müsste es so sein wie jüngst beim Fußball: Zittern bis zuletzt, und dann doch noch aus eigener Kraft die Kurve kriegen. So wie das Tor kurz vor Abpfiff, mit dem sich Spaniens Nationalmannschaft gegen Kroation den Einzug ins EM-Viertelfinale sicherte. Im Improvisieren waren die Spanier schon immer gut. Und wie oft haben Politiker auf andere Krisen verwiesen, die Spanien trotz aller Unkenrufe zu meistern wusste. Damals gab es aber auch noch den Kunstgriff der Peseta-Abwertung. Und das ist der wesentliche Unterschied zur aktuellen Krise. Ein Ausweg scheint diesmal nur darin zu liegen, Löhne und Preise zu stutzen und das Land wieder auf eine reale und damit ärmere Basis zu stellen – sofern die anderen Euro-Länder nicht ewig weitere Milliarden in das einstige vermeintliche Wachstumswunderkinder buttern wollen. Im Moment wendet sich allerdings alles gegen Spanien. Der so feierlich präsentierte Rettungsplan für Spaniens Banken trieb den Risikoaufschlag erst recht in die Höhe. Da verging dann auch Regierungschef Mariano Rajoy das anfängliche Triumphgefühl ob dieser fantastischen Kreditlinie der EU von bis zu 100 Mrd. Euro. Am Rande des G 20-Gipfels in Los Cabos meinte er en petit comité, die EU-Hilfe für die Geldhäuser müsse klar von den Staatsschulden getrennt werden. Nur so ließe sich dieser Teufelskreis durchbrechen. *Doch eine solche Trennung, die mit einer direkten Finanzspritze für die Banken gegeben wäre, brächte vielleicht gar nichts. Denn auch auf der Seite der Staatsschulden zeichnet sich neues Ungemach ab. Die 17 autonomen Regionen, auch nach fünf Krisenjahren noch ausgabenfreudig wie zu Boomzeiten, müssen allein noch im Juni10 Mrd. Euro refinanzieren. Erste Regionen bekommen mit ihrem Junkbond-Rating jedoch gar kein Geld mehr am Markt. Die Zahlen des Überschwangs lassen einen schwindeln: Das 47 Millionen Einwohner zählende Land gönnt sich fast 1 300 Politiker in den Regionalparlamenten, die im Durchschnitt 50 000 Euro pro Jahr nach Hause tragen – Extras nicht eingerechnet. Mit geschätzten 200 000 Politikern gilt das Land als eines der am stärksten politisierten Europas. Und auch das Heer der Staatsdiener von 3,1 Millionen kommt aufgebläht daher. Unverständlich, warum Rajoy nicht endlich an diesem Kropf die Schere ansetzt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) riet kürzlich unter anderen dringenden Maßnahmen, die Gehälter im öffentlichen Dienst zu kürzen. Doch Rajoy, eigensinnig und eisern auf seine Entscheidungsautonomie bedacht, will sich von niemandem was sagen lassen – bis ihn die Ereignisse doch überrollen. *Ein Stück weiser scheint indes José Luis Rodríguez Zapatero geworden zu sein. Der ehemalige sozialistische Regierungschef, der mit Selbstgefälligkeit und laxer Attitüde die Geschicke Spaniens von 2004 bis 2011 leitete, räumte kürzlich in seinem ersten Fernsehinterview nach dem Rückzug aus der aktiven Politik ein: “Wenn wir mehr gespart hätten, litten wir jetzt weniger.” Dieses Bekenntnis sollten sich vielleicht auch seine Parteigenossen von der sozialistischen Arbeiterpartei PSOE zu Herzen nehmen. Stattdessen besteht die Strategie von Parteichef Alfredo Pérez Rubalcaba vor allem aus einem dezidierten Nein zu allen Reformen oder Sparpaketen und aus einem gefährlichen Flirt mit den unzufriedenen Massen, die ab und an auf die Straße gehen. Dabei predigt Zapatero, eloquent wie immer, eine “nützliche Opposition” und ermuntert Rubalcaba auch zu einem Pakt mit der Regierung Rajoy. Der einstige Regierungschef arbeitet derzeit an einem Buch, das dem Vernehmen nach “selbstkritisch” ausfallen wird, aber kein gutes Haar an anderen lässt. Es scheint, als sei der früher gar nicht so zimperliche 51-Jährige durch ein Tal der Demut geschritten. Möglicherweise schaute er sich auch nützliche Eigenschaften von Spaniens Fußball-Elf ab. Da gab Nationaltrainer Vicente Del Bosque erst kürzlich wieder eine Weisheit zum Besten, die der Politik auch gut zu Gesicht stünde: “Es ist sehr gefährlich, sich überlegen zu fühlen.”