Geldpolitik

Ökonomen erwarten EZB-Zinspause im September

Die Europäische Zentralbank (EZB) lässt sich für den Herbst mehrere Türen offen. Wie es weitergeht, hängt von verschiedenen Wirtschaftsdaten ab – dabei ist die Lohnentwicklung im Fokus.

Ökonomen erwarten EZB-Zinspause im September

Ökonomen erwarten EZB-Zinspause im September

Leitzinsen steigen um 25 Basispunkte – Keine Festlegung auf weitere Erhöhung im Jahresverlauf

Die Europäische Zentralbank (EZB) lässt sich für den Herbst mehrere Türen offen. Lediglich eine Zinssenkung schließt EZB-Präsidentin Christine Lagarde für die nächste Sitzung im September aus. Wie es weitergeht, hängt von verschiedenen Wirtschaftsdaten ab – dabei ist die Lohnentwicklung im Fokus.

mpi Frankfurt

Anders als bei den vorangegangen Zinsentscheiden der Europäischen Zentralbank (EZB) legen sich die Währungshüter diesmal mit ihren Aussagen quasi nicht auf eine weitere Zinserhöhung fest. Im September könne es eine erneute Anhebung oder auch eine Zinspause geben, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag in Frankfurt, nachdem die Zentralbank ihre an den Finanzmärkten fest eingepreiste Leitzinserhöhung um weitere 25 Basispunkte verkündet hatte. Lediglich eine Zinssenkung schloss Lagarde aus und betonte, dass auch nach einer etwaigen Zinspause im September weitere Erhöhungen möglich seien.

Der bei den vorgegangenen Sitzungen stets wiederholte Lieblingssatz der EZB-Präsidentin „We have more ground to cover“ (Wir haben noch eine gute Wegstrecke vor uns) fehlt dieses Mal. „Damit stellte Lagarde in gewisser Weise sogar die Neigung zu einer weiteren geldpolitischen Straffung in Frage“, kommentierte Daniel Hartmann, Chefvolkswirt beim Vermögensverwalter Bantleon.

Auch an anderer Stelle änderte sich die Kommunikation der EZB. Hieß es bislang, dass die Leitzinsen auf ein ausreichend restriktives Niveau „gebracht“ werden müssten, steht im Kommuniqué der Notenbank diesmal, dass die Leitzinsen so lange wie möglich auf einem restriktiven Niveau „festgelegt“ werden. Auch dies werten einige Ökonomen als Zeichen, dass im September mutmaßlich keine weitere Erhöhung ansteht. „Mit einer sehr kleinen, aber wichtigen Änderung des Wortlauts der Erklärung hat die EZB im September die Tür für eine Pause geöffnet“, sagte Mark Wall, Chefvolkswirt Europa der Deutschen Bank.

Auch eine Äußerung der EZB-Präsidentin deutet auf eine mögliche Zinspause hin. „Müssen wir noch eine Wegstrecke gehen? Zum jetzigen Zeitpunkt würde ich das nicht sagen“, sagte Lagarde auf der Pressekonferenz nach dem Zinsentscheid. Die Auswertung der Daten werde zeigen, ob die EZB im September und in den folgenden Sitzungen noch eine Wegstrecke zu gehen habe und wie groß diese dann sei. „Das kann von Monat zu Monat variieren.“ Auf der anderen Seite betonte Lagarde, dass der Kampf gegen die hohe Inflation noch längst nicht gewonnen ist. „Wir erwarten noch wie vor, dass die Inflation zu lange zu hoch bleiben wird.“

Daten abwarten

Die Inflation hat seit ihrem Höhepunkt im Oktober 2022, der bei 10,6% lag, deutlich nachgelassen und befand sich im Juni bei 5,5% – was allerdings immer noch deutlich oberhalb des 2-Prozent-Ziels der EZB liegt. Die Kerninflation in der Eurozone stieg zuletzt sogar von 5,3% auf 5,5%. Diese gilt Notenbankern als guter Gradmesser für den zugrundeliegenden Preisdruck, da hier die schwankungsanfälligen Energie- und Lebensmittelpreise ausgeklammert werden.

Neben der Entwicklung des zugrundeliegenden Preisdrucks und der Verbraucherpreise werde die EZB besonders die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und die Stärke der geldpolitischen Transmission auf die Realwirtschaft boebachten. „Löhne spielen eine wachsende Rolle als Inflationstreiber“, sagte Lagarde. Während die Konjunktur insgesamt unter anderem in Folge der höheren Zinsen schwächelt, zeigt sich der Arbeitsmarkt und der Dienstleistungssektor bisher weiter robust.

Zinsen kühlen Konjunktur ab

Moritz Schularick, Präsident des IfW Kiel, spricht sich angesichts der zeitverzögerten Auswirkungen von Zinserhöhungen auf die Realwirtschaft dafür aus, im September nicht die zehnte Anhebung in Folge zu beschließen. „Aus Risikomanagementperspektive spricht nach so starken Zinsanhebungen vieles dafür, jetzt zunächst die realwirtschaftlichen Effekte abzuwarten und eine Pause einzulegen, um die Auswirkungen der Zinserhöhungen valide bewerten zu können.”

Frühindikatoren für die wirtschaftliche Entwicklung in der Eurozone deuten darauf, hin, dass die bereits schwächelnde Konjunktur weiter abkühlen wird. Der Index für das Dienstleistungsgewerbe liegt kaum noch über der Rezessionsschwelle. „Das wird die EZB zwingen, ihre sehr optimistische Konjunkturprognose für das zweite Halbjahr im September zu senken”, schreibt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer in einer Analyse.

Die Effekte der Zinserhöhungen sind auch an anderer Stelle deutlich sichtbar: Der Immobilienmarkt ist eingebrochen, die Kreditnachfrage im Euroraum laut dem Bank Lending Survey (BLS) der EZB auf den tiefsten Stand seit Beginn der Erhebung im Jahr 2003 gefallen. Auch die Entwicklung der Geldmenge M1, die als Konjunkturindikator gilt, deutet auf eine schwache Wirtschaftsentwicklung in den kommenden Monaten hin.

Diese Effekte des geldpolitischen Straffungskurses sind durch die EZB durchaus gewollt. Sie will unter anderem durch eine geringere wirtschaftliche Aktivität den Inflationsdruck senken. Allerdings gibt es bei manchen Ökonomen und EZB-Ratsmitgliedern Bedenken, dass die EZB überziehen könnte und die Konjunktur zu stark abbremst.

Debatte über Zinssenkungen

Wenn der Zinsgipfel der EZB erreicht ist, wollen die Währungshüter ihn zur Eindämmung der Inflation für längere Zeit beibehalten. „Die künftigen Entscheidungen des EZB-Rats werden sicherstellen, dass die Leitzinsen der EZB so lange wie nötig auf einem ausreichend restriktiven Niveau festgelegt werden, um eine rechtzeitige Rückkehr der Inflation zum mittelfristigen Ziel von 2% zu erreichen”, heißt es in dem EZB-Kommuniqué. Von Bloomberg befragte Volkswirte gehen mehrheitlich allerdings nicht davon aus, dass das Zinsniveau lange gehalten wird. Sie rechnen schon nach sechs Monaten mit der ersten Zinssenkung. Auch an den Märkten mehrt sich die Hoffnung nach einer ersten Zinssenkung noch in diesem Jahr.

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Für die EZB kann eine solche Erwartungshaltung zum Problem werden. Gehen viele Finanzmarktteilnehmer von baldigen geldpolitischen Lockerungen aus, lockern sich tendenziell auch die Finanzierungsbedingungen wieder – was den Inflationsdruck erhöht und die Zinspolitik der EZB konterkariert. „Die EZB wird einen Grund finden müssen, die Zinserhöhungen in naher Zukunft zu stoppen und gleichzeitig eine glaubwürdige Tendenz zur Straffung beizubehalten”, sagt Kristian Tödtmann, Leiter des Bereichs Geldpolitik und Kapitalmärkte bei der DekaBank.

Änderung bei Mindestreserve

Nicht nur zur Höhe der Leitzinsen teilte die EZB am Donnerstag eine Entscheidung mit. Die Zentralbank verkündete auch, dass sie künftig die Mindestreserven der Banken mit 0% verzinst. Bislang waren sie positiv verzinst. „Durch diesen Beschluss bleibt die Wirksamkeit der Geldpolitik gewahrt, da das derzeitige Maß an Kontrolle über den geldpolitischen Kurs beibehalten und das vollständige Durchwirken der Zinsbeschlüsse auf die Geldmärkte sichergestellt wird“, erklärte die Notenbank. Zugleich mache der Beschluss die Geldpolitik effizienter, indem der insgesamt auf Reserven zu zahlende Zinsbetrag, der zur Umsetzung des angemessenen Kurses erforderlich sei, reduziert werde.

Über einen Abbau der Notenbank-Bilanz als geldpolitisches Mittel um den Inflationsdruck zu senken, haben die Währungshüter laut Lagarde am Donnerstag nicht gesprochen. Mehrere Vertreter einer restriktiven Geldpolitik, die sogenannten Falken, hatten sich im Vorfeld für einen schnellen Bilanzabbau ausgesprochen oder zumindest damit geliebäugelt. Aus EZB-Kreisen hieß es, dass einige Ratsmitglieder offen für direkte Anleiheverkäufe seien, während andere das Enddatum für die vollständigen PEPP-Reinvestitionen von Ende 2024 vorziehen wollen. Weder das eine noch das andere wurde von der EZB am Donnerstag verkündet. Die Reinvestitionen aus dem Pandemie-Notfallankaufprogramm PEPP sollen bis mindestens Ende 2024 laufen, hieß es stattdessen im Kommuniqué der Zentralbank.

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