LEITARTIKEL

Offene Posten

Parteitage liefern keine Koalitionsverträge. Aber sie wirken als Seismografen, um Stimmungen in der Partei zu orten. Sie sollen Delegierte motivieren, in ihren Kreisverbänden zu wirken und Wahlkämpfe zu unterstützen. Und sie sollen die große...

Offene Posten

Parteitage liefern keine Koalitionsverträge. Aber sie wirken als Seismografen, um Stimmungen in der Partei zu orten. Sie sollen Delegierte motivieren, in ihren Kreisverbänden zu wirken und Wahlkämpfe zu unterstützen. Und sie sollen die große Richtung aufzeigen, wohin die Partei inhaltlich strebt. CDU und Grüne haben 2019 mit ihren Parteitagen in Leipzig und in Bielefeld im November die Truppen mobilisiert. Die SPD kommt am Nikolaustag in Berlin zusammen, um das neue Spitzenduo für den Parteivorsitz zu bestätigen. Das Ergebnis der Mitglieder-Stichwahl zwischen Olaf Scholz mit Klara Geywitz und Norbert Walter-Borjans mit Saskia Esken wird bereits an diesem Freitagabend verkündet. Damit entscheidet sich auch, wie es mit der großen Koalition in Berlin weitergeht. Scholz/Geywitz halten am Regierungsbündnis mit der Union fest, Walter-Borjans/Esken sind auf Distanz. Sollte der derzeitige Vizekanzler Olaf Scholz bei den SPD-Mitgliedern durchfallen, ist die schwarz-rote Koalition am Ende. Union und Grüne wären in einer schlechten Ausgangslage.Zwar liegen beide derzeit in den Umfragen bundesweit auf den Plätzen 1 und 2. Für eine schwarz-grüne Koalition reicht es aber allenfalls knapp. Auf einen baldigen Bundestagswahlkampf sind CDU und Grüne indes noch nicht vorbereitet. Beide Parteien haben die Frage der Kanzlerkandidatur bei ihren Parteitagen offengelassen. Sie wollen sich erst im nächsten Jahr für die Wahl 2021 festlegen. CDU-Parteivorsitzende, Annegret Kramp-Karrenbauer, konnte in Leipzig ihre Position mit einem brachialen Schritt mutig verteidigen: Sie erschreckte die Delegierten mit einer unerwarteten Vertrauensfrage und provozierte mit dem Angebot, gemeinsam “die Ärmel hochzukrempeln”, begeisterte Unterstützung. Ihr potenzieller Herausforderer, Friedrich Merz, der Teil der Partei hinter sich weiß, war derart überrumpelt, dass er nicht einmal mehr die erwartete wirtschaftspolitische Grundsatzrede halten konnte. Die Machtfrage ist bei der CDU aber nur vertagt, noch nicht entschieden. Die Grünen sind mit ihren guten Umfrageergebnissen erstmals damit konfrontiert, auch das Kanzleramt erobern zu können. Die Bundesdelegiertenkonferenz hat die beiden Parteivorsitzenden, Annalena Baerbock und Robert Habeck, mit Traumergebnissen im Amt bestätigt. Das ewige Ringen zwischen Realos und Fundamentalisten in der Partei scheint damit ausgestanden. Das Dilemma um ihre Doppelspitze bleibt aber ungelöst. Wer im Fall eines Wahlsiegs das Kanzleramt übernimmt, ist unentschieden. Ämterteilung sieht das Grundgesetz in diesem Amt nicht vor.Das Erstarken der Grünen verbindet sich mit Hoffnung in Teilen der Union, womöglich einen neuen Partner für eine stabile Koalition gefunden zu haben. In vielen Bundesländern regieren inzwischen Dreierbündnisse, um die AfD auszubooten. Wirtschaftspolitisch zeichnen sich in einer potenziellen schwarz-grünen Koalition im Bund starke Spannungen ab. Bei den Grünen ist nur vermeintlich Vernunft für eine marktorientierte Wirtschaftspolitik eingezogen. Habeck hat zwar einen Green New Deal, ein Ende des Kriegs der Ökonomie gegen die Natur, ausgerufen. Das Ergebnis ist aber, dass sich die Ökonomie den Vorstellungen der Grünen unterwirft. So haben die Parteimitglieder für Quoten votiert, in deren Umfang die Automobilindustrie klimafreundlichen Stahl einsetzen muss. Der Mindestlohn soll auf 12 Euro steigen und erst dann wieder der Mindestlohnkommission zur Entscheidung vorliegen. Die Schuldenbremse wollen die Grünen im Bund mit dem Ziel lockern, mehr Nettoinvestitionen zu ermöglichen. Frappierend ist daran, dass der Stau bei öffentlichen Investitionen überhaupt nicht am Geld hängt.——Von Angela WefersCDU und Grüne haben bei ihren Parteitagen offene Posten hinterlassen – nicht nur bei der inhaltlichen Ausrichtung, auch personell. ——