Ohne Angst leben mit Rishi Sunak
Von Andreas Hippin, LondonDer britische Schatzkanzler Rishi Sunak (40) hat mit der Ansage, “ohne Angst leben” zu wollen, in den Augen vieler Kommentatoren den Waffenstillstand zwischen 10 Downing Street und seinem Ministerium aufgekündigt. Anders als Premierminister Boris Johnson (56) und seinen Beratern geht es ihm nicht darum, das Coronavirus um jeden Preis zu unterdrücken, bis ein Impfstoff gefunden ist. “Wir müssen lernen, damit zu leben, und ohne Angst leben”, sagte Sunak in seiner Rede vor dem Unterhaus, in der er die wirtschaftspolitischen Weichenstellungen für die kommenden sechs Monate vorstellte.”Ohne Angst leben” ist ein wesentlich eingängigerer Slogan als Johnsons “Schützt den NHS (National Health Service)”, zumal der Zweck eines öffentlichen Gesundheitswesens darin besteht, für die Bürger da zu sein, und nicht darin, vor ihnen geschützt werden zu müssen. Sunak, Innenministerin Priti Patel und Wirtschaftsminister Alok Sharma brachten Johnson diese Woche angeblich in letzter Minute davon ab, noch schärfere Ausgangsbeschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie zu verhängen.Johnson erschien gar nicht erst zu Sunaks Auftritt im Parlament, sondern gab dem Fernsehsender Sky ein Interview über Geldstrafen für Lockdown-Regelverletzer und nahm einen Routinetermin in einer Polizeiwache in Northamptonshire wahr.Das Verhältnis zwischen 10 Downing Street und 11 Downing Street, dem Dienstwohnsitz des Schatzkanzlers, war nie einfach, egal welche Partei regierte. Tony Blair und Gordon Brown bekriegten sich erbittert. Philip Hammond machte Theresa May zu schaffen. Allerdings hatte “Disco Phil” keinerlei Interesse daran, May im Amt zu beerben. Sunak werden dagegen entsprechende Ambitionen nachgesagt. Als er vor sieben Monaten Schatzkanzler wurde, hatte Sajid Javid das Amt gerade hingeschmissen, weil er sich von Johnsons Beratern nicht bevormunden lassen wollte. Sunak wurde damals der “Daily Mail” zufolge mit dem Spitznamen “Baby CINO (Chancellor in Name Only)” belegt, weil man in 10 Downing Street glaubte, er wäre so dankbar, mit dem Posten betraut zu werden, dass er sich alles bieten lassen werde. Mittlerweile hat er sich in Stellung gebracht, die Nachfolge Johnsons anzutreten. Der wirkt zunehmend alt und verbraucht, und es heißt, er könnte schon im kommenden Jahr sein Amt niederlegen.Sunak ist ein glühender Thatcherist. Er steht nicht für großbürgerlichen Liberalismus wie David Cameron und Johnson, sondern für knallharte Marktlogik. Er kann sie nur mit weitaus mehr Charme verkaufen als einst George Osborne, der übrigens einer der wenigen Schatzkanzler war, die ein gutes Verhältnis mit ihren Premierministern pflegten.