SERIE ZUR US-WAHL 2020: HANDELSPOLITIK - IM INTERVIEW: BERND LANGE, SPD

"Ohne Verhandlungen stellen wir Zölle scharf"

EU-Handelspolitiker bilanziert vier Jahre Trump

"Ohne Verhandlungen stellen wir Zölle scharf"

Der SPD-Politiker Bernd Lange aus Oldenburg gehört seit 1994 mit einer zwischenzeitlichen Unterbrechung von fünf Jahren dem EU-Parlament an. Seit 2014 sitzt der 64-Jährige dem Handelsausschuss vor. In dieser Funktion erlebte er bereits die Debatten über das gescheiterte Freihandelsabkommen TTIP. Herr Lange, was bereitet Ihnen derzeit stärkere Kopfschmerzen: Eine Wiederwahl Donald Trumps oder ein ungeregelter Austritt Großbritanniens aus der EU?Das ist eindeutig eine Wiederwahl Trumps. Ein ungeregelter Austritt Großbritanniens ist misslich, aber wir haben viele Absicherungen eingeführt, Übergangsfristen sind in der Diskussion. Letztendlich wird man das bewältigen können. Mit den Briten haben wir einen Partner, der verlässlich ist, deswegen werden wir sicherlich auch ohne umfassendes Abkommen einige pragmatische Regelungen vereinbaren können. Bei Trump hingegen sind wir in der Situation, dass internationale Regeln gebrochen werden und die Handelspolitik völlig unberechenbar ist. Zudem ist die von seinem Handelsbeauftragten Robert Lighthizer formulierte Strategie, Wertschöpfungsketten zu brechen und möglichst Produktion zurück in die USA zu holen, Gift für den globalen Handel und gerade für exportorientierte Volkswirtschaften wie bei uns in Europa. Lässt sich das mit der Abwahl Trumps rückabwickeln und so Schlimmeres verhindern oder sind irreparable Schäden entstanden?Ich glaube, es sind schon bleibende Schäden entstanden, weil Wertschöpfungsketten verlagert worden sind und jene, die unter Trumps Zollpolitik gelitten haben, sich neu orientiert haben. Aus meinem Wahlkreis ist zum Beispiel Jägermeister in den USA, dem größtem Markt, mit 25 % Zoll belastet worden. Die haben sich schon umgesehen, ob sie sich anderswo stärker positionieren, und viele kleinere Unternehmen tun das auch. Bidens Berater hat der EU ein Ende des “künstlichen Handelskriegs” in Aussicht gestellt. Wird mit einem Machtwechsel im Weißen Haus alles gut?Man darf nicht vergessen, dass Trump etwa gegenüber China nicht allein dasteht. Auch im Verfahren der Welthandelsorganisation (WTO) zu Subventionen für Airbus und Boeing gibt es abweichende Interessen, die auch von den Demokraten geteilt werden. Nein, eine völlige Neuausrichtung wird es nicht geben. Aber aus Gesprächen mit Parlamentariern in Washington ist mir zumindest völlig klar, dass unter Biden das regelbasierte Werkzeug wieder aus dem Keller geholt wird. Es ist genau richtig, dass man verlässlich und regelbasiert miteinander agieren kann. In dem angesprochenen Subventionsstreit über Airbus und Boeing ist keine Lösung in Sicht. Seit einem Jahr verlangen die USA mit Billigung der WTO Milliardenzölle auf Waren aus der EU. Nun zeichnet sich ab, dass auch der EU Milliardenzölle zustehen. Droht vor der Wahl die nächste Eskalation?So kurz vor der Wahl wird das zeitlich nicht mehr hinhauen. Die Europäische Kommission muss nun umgehend eine Liste mit Gegenmaßnahmen auf den Tisch legen, die die Interessen der EU wahrt. Darüber müssen dann aber zunächst die EU-Staaten beraten und zustimmen. Bis zur Wahl ist das kaum zu schaffen. Würde sich die EU-Kommission mit einer Eskalation in dieser Phase überhaupt einen Gefallen tun?Die Drohkulisse war immer da, und das ist jetzt eben die Konsequenz. Wir haben immer versucht, eine Verhandlungslösung hinzubekommen. Das haben die USA abgelehnt und mit ihrem Zeitvorsprung von einem Jahr gespielt. Erst seit klar ist, dass unsere Vergeltungsmaßnahmen kommen werden, scheint es so, dass die Amerikaner bereit sind, über eine einvernehmliche Lösung zu verhandeln. Das werden wir weiter versuchen – aber wenn es kein Signal für ernsthafte Verhandlungen gibt, werden wir die Zölle scharfstellen. Damit bewegen wir uns innerhalb der internationalen Spielregeln der WTO. Kürzlich haben EU und USA in einem Mini-Freihandelsabkommen immerhin Erleichterungen für amerikanische Hummerproduzenten vereinbart. Neue Zölle etwa gegen Farmer könnten noch heikel werden in der Wahlkampfphase, meinen Sie nicht?Rational geht es schon lange nicht mehr zu. Diese Hummer-Nummer ist nun wirklich von marginaler Bedeutung, spielt im Bundesstaat Maine aber politisch eine große Rolle. Ich glaube nicht, dass noch eine Gegenreaktion käme, zumal wir auch hier WTO-konform handeln und die Meistbegünstigungsklausel anwenden, das heißt, die neuen Regeln gelten auch für Hummer aus Australien, Nicaragua und Honduras. Halten Sie nach den gescheiterten Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) unter einem Präsidenten Biden auch neue Verhandlungen über ein umfassendes Freihandelsabkommen für denkbar?Nein, beide Blöcke sind in vielen Bereichen direkte Wettbewerber. Kleinere Abkommen sind realistisch. Auffällig ist, dass Biden Trumps “America First”-Mantra den Slogan “Buy American” entgegensetzt: Könnte sich die Hoffnung auf ein Wiederaufleben von Freihandel und Multilateralismus als naiver Irrglaube entpuppen?Es gibt unterschiedliche Interessenlagen. Was aber zählt, ist, ob man die Spielregeln einhält, und da bin ich sehr gewiss, dass das unter Biden passieren würde, auch was die Beteiligung der Vereinigten Staaten im Bereich der WTO betrifft. Bei der notwendigen Reform der Streitbeilegung und bei der Verbesserung des WTO-Regelwerks wird sich eine Regierung Biden stärker einbringen. Biden könnte ein Zeichen setzen, indem er die Blockade der Berufungsinstanz beendet und Richterstellen nachbesetzt. Wie realistisch ist es, dass die WTO schnell wieder funktionsfähig wird?Er muss erst mal ins Amt kommen und einen neuen Handelsbeauftragten benennen. Es würde mich freuen, wenn wir bis zur nächsten WTO-Ministerkonferenz im Juni 2021 einige konstruktive Vorschläge bekommen. Und die Nachbesetzung des Chefpostens bei der WTO, der Trump wiederholt mit Rückzug drohte?Vor der Wahl wird da nichts entschieden, danach kann es schnell gehen. Was halten Sie für das wahrscheinlichere Szenario: harter Brexit oder vier weitere Jahre Trump?Vermutlich ist das auch wunschgeleitet: Ein harter Brexit ist wahrscheinlicher, weil die Lage wirklich völlig unklar ist. Diese Woche ist entscheidend dafür, ob es einen Deal geben kann. Noch mal vier Jahre Trump – das kann und will ich nicht glauben. Das Interview führte Stefan Reccius.