GROSSBRITANNIEN HAT GEWÄHLT

Ökonomen halten Brexit-Risiko für gering

Unveränderter wirtschaftspolitischer Kurs erwartet

Ökonomen halten Brexit-Risiko für gering

ba/lz Frankfurt – Ökonomen richten ihren Blick nach dem überraschenden Wahlsieg der Konservativen Partei des bisherigen und wohl auch künftigen Premiers David Cameron vor allem auf das für Ende 2017 angekündigte Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU. Der Erfolg der Scottish National Party (SNP) in Schottland weckt allerdings nur bei wenigen die Befürchtung, dass es bald zu einem erneuten schottischen Referendum über die Zugehörigkeit zum britischen Königreich kommen wird, auch wenn das Thema präsent bleiben wird. So haben eine stärkere Machtübertragung nach Schottland, aber auch nach England und Wales, etliche Ökonomen auf der Rechnung. Unstrittig ist die Erwartung, dass die neue Regierung den wirtschaftspolitischen Kurs beibehalten wird.Ein Wahlsieg von Ed Miliband hätte vermutlich stärkere konjunkturdämpfende Auswirkungen gehabt, sagt Mario Gruppe von der Nord/LB. Aber auch Cameron werde nicht nur Geschenke für die britische Wirtschaft bereithalten. Gruppe macht zwei große Herausforderungen aus: das deutlich zu hohe Haushaltsdefizit und die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit vieler Bereiche. Azad Zangana von Schroders erwartet, dass auf kurze Sicht die Klarheit, die die Wahl gebracht hat, die Konjunktur ankurbelt. Längerfristig werde die Sparpolitik fortgesetzt werden. “Die harten Entscheidungen der vergangenen fünf Jahre haben sich ausgezahlt”, urteilt Berenberg-Ökonom Holger Schmieding. Die Fortsetzung der prowirtschaftlichen Politik sollte das Potenzialwachstum schützen und helfen, mehr Jobs zu schaffen. Schmieding bezeichnet das EU-Referendum, vor allem jede Unsicherheit über den Ausgang, als wesentliches Risiko für die Wirtschaft. Die Wahrscheinlichkeit eines Austritts Großbritanniens (Brexit) aus der EU hält er aber für gering, wie auch die meisten anderen Ökonomen. Das Ausmaß der Belastungen für die Wirtschaft werde sich nach Camerons Erfolgen bei Neuverhandlungen der britischen Beziehungen mit der EU richten, präzisiert Marina Lütje von der DekaBank. Für die EU hingegen gäbe es mit dem Referendum kein nennenswertes wirtschaftliches Risiko, aber einen politisch bedeutenden Diskussionspunkt.Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, hält die Gefahr von Turbulenzen nach einem Brexit für begrenzt, sofern “die Scheidung sauber erfolgt”. Sowohl Großbritannien als auch die EU könnten damit leben, wenn sich die Insel am Schweizer Vorbild orientiere, sagte er in einer Reaktion auf den Wahlausgang. Dass die Scheidung “sauber” erfolgt, davon ist Krämer schon deshalb überzeugt, weil weder die EU noch Großbritannien ein Interesse hätten, neue Turbulenzen heraufzubeschwören. Krämer hält die wirtschaftlichen Folgen eines Brexit auch deshalb für nicht so dramatisch, weil entsprechende Horrorszenarien, die beim Fernbleiben der Briten von der Euro-Währungsunion vorausgesagt worden waren, sich ebenfalls nicht eingestellt hatten. Allerdings erwartet er eine tiefe kulturelle Veränderung in der wirtschaftspolitischen Debatte. Krämer: “Die EU verliert ein starkes Mitgliedsland und Deutschland einen wirtschaftspolitischen Bundesgenossen.” Das habe Folgen für die künftige Politik der EU und für die Durchsetzungsfähigkeit deutscher Interessen.