Operation am offenen Zahnhals
Von Detlef Fechtner, FrankfurtDer eigentliche Übergang von der D-Mark-Welt in die Euro-Ära ging bemerkenswert glatt. Ein Chaos am 4. Januar 1999 – dem ersten Handelstag in Euro – blieb aus. Aber das ist freilich nur die halbe Wahrheit. Denn der Übergang auf die gemeinsame Währung hatte sehr wohl einige hochdramatische Momente – und zwar in den Monaten vor dem “E-Day”. Es gab jede Menge Tumulte und Verwerfungen. Kurzum: Die Umstellung selbst verlief störungsfrei, die Vorbereitung jedoch turbulent und explosiv. Die Ablösung der D-Mark erwies sich letztlich als Operation am freiliegenden Zahnhals.So lieferte sich die Bundesregierung eine abenteuerliche Kraftprobe mit der Bundesbank. In der Sorge, Deutschland könnte die 3-Prozent-Defizitmarke überschreiten und damit nicht dem Kreis der Gründungsmitglieder angehören, eilte Bundesfinanzminister Theo Waigel nach einer enttäuschenden Steuerschätzung mit dem Hubschrauber zur Bundesbank, um die Währungshüter zur Neubewertung der Goldreserven in der Bundesbank-Bilanz für 1997 zu überreden. Sein Einsatz brachte ihm den Spitznamen “Goldfinger” ein – und jede Menge Häme. Als am 27. Februar 1998 Deutschlands damaliger Chefstatistiker Johann Hahlen verkündete, die Bundesrepublik habe es überraschend lässig – nämlich mit 2,7 % – geschafft, 1997 unter der 3-Prozent-Marke zu bleiben, gab es denn auch Heiterkeit im Presseraum. Immerhin hatten selbst wohlwollende Ökonomen bestenfalls 2,9 % prognostiziert. Einen Monat später lagen erneut die Nerven blank. Die Bundesregierung hatte in einem listigen Schachzug die Bundesbank zu einer Stellungnahme verdonnert, ob Deutschland an der Währungsunion mitmachen sollte oder nicht. Die Bundesbank mahnte und warnte auf 24 Seiten vor Risiken durch Altlasten und mangelnde finanzpolitische Disziplin. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber zitierte jedoch nur einen einzigen Satz aus dem Gutachten, dem zufolge die Währungsunion “stabilitätspolitisch vertretbar” sei – und nutzte dies als Alibi für seine eigene politische Kehrtwende. Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer schäumte vor Wut über diese einäugige Auslegung des Gutachtens.Noch spannungsgeladener war der EU-Gipfel am 2. Mai 1998. Beim “längsten Mittagessen der Welt” stritten sich die Franzosen mit dem Rest der EU elf lange Stunden darüber, wer erster Präsident der Europäischen Zentralbank werde. Der Niederländer Wim Duisenberg erhielt den Zuschlag – aber erst, nachdem er eingewilligt habe, bereits nach vier Jahren “freiwillig” abzutreten. Die Glaubwürdigkeit des Euro war nach all diesen dramatischen Vorspielen also bereits beschädigt, bevor er im Januar das Licht der Welt erblickte.—–Die Umstellung selbst verlief störungsfrei, die Vorbereitung jedoch turbulent und explosiv.—–