Ordnungshüter vor den Toren
My home is my castle – so wird von manchen die britische Mentalität gerne umschrieben. Man sollte in den eigenen vier Wänden allerdings nicht zu laut fluchen, weinen oder mit den Türen schlagen, sonst flattert vielleicht eine Community Protection Notice (CPN) ins Haus. Mit solchen Bescheiden kann die Lokalverwaltung Bürgern nahezu alles verbieten, was aus ihrer Sicht negative Auswirkungen auf die Lebensqualität der Nachbarschaft hat – vom stehen gebliebenen Autowrack vor der Haustür über frei laufende Pfauen im Dorf bis hin zum japanischen Staudenknöterich im Garten. Statt Barbaren stehen mittlerweile Ordnungshüter vor den Toren der Festung Eigenheim.Per CPN kann man seinen Bürgern auch ein bestimmtes Verhalten vorschreiben und ihnen Ziele dafür setzen. Newham stellte 1 378 CPNs wegen Müll im Vorgarten aus. 18 Kommunen gehen auf diese Weise gegen unordentliche Gärten vor. Wer sich nicht an die Anordnungen hält, kann direkt mit einem Ordnungsgeld von 100 Pfund belegt werden. Kommt die Sache vor Gericht, können bis zu 2 500 Pfund fällig werden, richtet sich die Maßnahme gegen Firmen, auch bis zu 20 000 Pfund. Bislang fand die vor zwei Jahren eingeführte Ausweitung der Kompetenzen der Verwaltung wenig Beachtung. Der Manifesto Club, der sich gegen die Hyperregulierung des täglichen Lebens einsetzt, hat nun dafür gesorgt, dass die britische Öffentlichkeit etwas mehr darüber erfuhr, wie CPN genutzt werden.Nach seinen Ermittlungen wurden zwischen Oktober 2014 und Oktober 2105 nahezu 4 000 CPNs ausgestellt. Hinzu kamen mehr als 9 500 Androhungen eines solchen Bescheids. Voraussetzungen und Beweislast sind gering, das Prozedere simpel. Anders als die früher verhängten Anti-Social Behaviour Orders (Asbo) müssen sie nicht durchs Amtsgericht. In manchen Kommunen erhalten Politessen oder Polizeihelfer standardisierte Templates und können dann selbst entscheiden, ob sie eine CPN ausstellen wollen. Dem Bescheid muss eine Warnung vorangehen. Diese kann aber auch verbal erfolgen.Drei Gemeinden gingen mit CPNs gegen Straßenmusikanten vor, etwa wenn sie zu lange an einem Ort blieben. Für East Devon, North Devon, Conwy und Exeter war das Füttern von Vögeln Anlass genug, solche Bescheide auszustellen. In South Gloucestershire und Braintree rief “exzessives Hundegebell” die Ordnungshüter auf den Plan. Newham teilte 96 CPNs an Obdachlose aus. Das Herumhängen in Treppenhäusern, Betteln und der Alkoholgenuss im öffentlichen Raum werden ebenso abgemahnt. Wer Leute, die auf der Straße schlafen oder trinken, individuell verfolgt, muss keine negative Presse fürchten – wie etwa bei den Public Spaces Protection Orders, durch die bestimmte Örtlichkeiten vor “antisozialem Verhalten” geschützt werden sollen. Auch bei Streitigkeiten unter Nachbarn kamen die Bescheide in fünf Gemeinden zum Einsatz, etwa in Poole nach abfälligen Bemerkungen über einen Nachbarn und in Barnet für das Einschüchtern eines Nachbarn.Eigentlich ging es dem englischen Juristen und Politiker Sir Edward Coke (1552 – 1634), auf den die Maxime “a man’s house is his castle” zurückgeht, um etwas anderes als die Privatheit und Beschaulichkeit gehäkelter Sofabezüge, die wir heute damit verbinden. Coke sprach sich für das Recht aus, den eigenen Besitz gegen Angreifer, Diebe und Räuber mit Waffengewalt verteidigen zu dürfen. Inzwischen lassen sich die Briten von Gemeindemitarbeitern vorschreiben, bis wann sie ihren Garten in Schuss zu bringen haben. So forderte die Lokalverwaltung von Doncaster einen Bewohner dazu auf, binnen 14 Tagen alles auf das in der Nachbarschaft übliche Niveau zurückzuschneiden. Von einem anderen wurde verlangt, Pestizide einzusetzen. In Tameside wurde die Mülltonne eines Bürgers inspiziert und ihm fortan die ordentliche Mülltrennung auferlegt. Rotherham ordnete an, dass ein Hausbesitzer seine Fenster sowohl von innen als auch von außen zu reinigen habe. Der Gängelei sind offenbar keine Grenzen gesetzt. Die allgegenwärtigen Erscheinungen von Social-Media-Wahnsinn wie Pokemon Go oder Horror-Clowns lassen sich auf diese Weise leider ebenso wenig eindämmen wie die Gewalt an den sozialen Brennpunkten.