LEITARTIKEL

Pack die Badehose ein

Erst wenn die Ebbe kommt, sieht man, wer nackt im Wasser steht, sagte der US-Investor Warren Buffett einst. Für die britische Regierung rückt dieser Zeitpunkt immer näher, obwohl es Premierministerin Theresa May geschafft hat, sich länger im Amt zu...

Pack die Badehose ein

Erst wenn die Ebbe kommt, sieht man, wer nackt im Wasser steht, sagte der US-Investor Warren Buffett einst. Für die britische Regierung rückt dieser Zeitpunkt immer näher, obwohl es Premierministerin Theresa May geschafft hat, sich länger im Amt zu halten, als irgendjemand erwartet hätte. Sie hat die Debatte darüber, wie der EU-Austritt vollzogen werden soll, wiederholt unterdrückt und die Entscheidung über die Form der künftigen Beziehungen zum Kontinent immer weiter hinausgezögert. Vielleicht sagt sie das für Dienstag versprochene “aussagekräftige Votum” des Parlaments über den Austrittsvertrag ja noch kurzfristig ab, um nachzuverhandeln. Schließlich gehört es zu den Grundprinzipien der Herrschaft, keine Abstimmung anzusetzen, die man verlieren könnte. Und bislang wird mit einer krachenden Niederlage der Regierung gerechnet – einer Blamage, wie es sie in der britischen Geschichte noch nicht gegeben hat.In Brüssel würde eine Verschiebung des Votums wohl äußerst schlecht aufgenommen. May hätte aber einen weiteren Monat herausgeschunden. In der unverbindlichen Absichtserklärung zu den künftigen Handelsbeziehungen könnte sie in dieser Zeit vielleicht ein paar kosmetische Veränderungen erreichen. Niemand glaubt jedoch ernsthaft, dass sich die EU auf Nachbesserungen am Austrittsvertrag einlassen würde. Eine Verzögerung der Abstimmung ohne Veränderungen in der Sache würde die Kräfteverhältnisse im Parlament nicht wesentlich verändern. Deshalb spricht viel dafür, dass May am Dienstag die Badehose beziehungsweise den Badeanzug einpackt und die Niederlage einsteckt.Gewiss, es wäre danach schwierig für sie, weiterzuregieren, aber zurücktreten müsste sie deshalb noch lange nicht. Zwar dürften die für ein parteiinternes Absetzungsverfahren erforderlichen 48 Misstrauensbekundungen von Unterhausabgeordneten schnell zusammenkommen, in der Fraktion steht jedoch immer noch eine Mehrheit hinter ihr. Und die nordirische Democratic Unionist Party dürfte ihrer Regierung – außer in Brexit-Fragen – den Rücken stärken, um zu verhindern, dass Oppositionsführer Jeremy Corbyn in 10 Downing Street einzieht. Schließlich galt der Labour-Parteichef zeitlebens als IRA-Sympathisant. Mays Strategen könnten darauf spekulieren, dass die Abstimmungsniederlage harsch genug ausfällt, um Verwerfungen an den Finanzmärkten auszulösen. Das 700 Mrd. Dollar schwere US-Bankenrettungsprogramm TARP wurde 2008 vom US-Kongress zunächst abgelehnt. Nachdem der Dow Jones den größten Tagesverlust aller Zeiten gezeigt hatte, stimmten Senat und Repräsentantenhaus aber doch zu. Ein Kursrutsch an der Londoner Börse oder eine weitere Abwertung des Pfund könnten der Akzeptanz des Austrittsvertrags durchaus dienlich sein. In den globalen Finanzzentren werden die Handelsräume in der Nacht zum Mittwoch besonders gut besetzt sein, um schnell reagieren zu können. “Let’s do a TARP”, ist ein Spruch, der am Amtssitz der Premierministerin zu hören gewesen sein soll.May könnte aber auch auf Neuwahlen setzen. Ihr Team ist Insidern zufolge zuversichtlich, die Mehrheit im Unterhaus zurückerobern zu können. Corbyn sei inzwischen nur noch ein Politiker wie jeder andere, hieß es dort. Die Begeisterung der jungen Wähler sei verflogen. Neuwahlen wären ein weiteres Referendum über den EU-Austritt. Ein Misstrauensvotum im Parlament wäre der einfachste Weg, um sie herbeizuführen. Brüssel dürfte in so einem Fall der Verlängerung der am 29. März auslaufenden Frist für den Austritt zustimmen. Sie könnte allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt ausgeweitet werden, an dem das neugewählte Europaparlament erstmals zusammentritt. Ob sich die Kräfteverhältnisse durch Neuwahlen wirklich ändern würden, ist fraglich, denn nur wenige Wahlkreise sind wirklich umkämpft.Den Vorschlägen für einen Plan B fehlt es ebenso an Plausibilität wie der Forderung nach einem erneuten Referendum. Voraussetzung wäre stets eine Verlängerung der Frist für den Austritt, denn keine der Alternativen ließe sich in der noch verbliebenen Zeit realisieren. Für einen Brexit ohne Übereinkunft mit Brüssel ist das Land nicht gerüstet, aber es schlittert darauf zu. So wie David Cameron es nicht für nötig hielt, sich auf ein Votum für den EU-Austritt vorzubereiten, unterließ es May, Vorkehrungen für einen Alleingang Großbritanniens zu treffen. Ohne Badeanzug sollte sie wohl nicht mehr aus dem Haus gehen. —–Von Andreas HippinTheresa May droht eine historische Niederlage im Parlament. Das wäre aber noch lange nicht das Ende der Brexit-Hängepartie. —–