Papas Söhne als Problemlöser
Gemeinhin gilt Kremlchef Wladimir Putin ja als Taktiker und nicht als Stratege. Nimmt man freilich den außenpolitischen Verlauf der vergangenen Monate unter die Lupe, sieht doch alles eher nach gut durchdachter Strategie aus. Zuerst geschickt in Syrien vorpreschen und internationale diplomatische Verhandlungen provozieren, parallel die Situation in der Ostukraine beruhigen und den Ukrainern sogar die Streckung der Schulden anbieten. Schließlich sich nach den Terroranschlägen von Paris mit Frankreich zu verbünden. Es wird dem Westen nun schwerfallen, die Sanktionen gegen Russland umfassend zu verlängern und nicht wenigstens zu lockern.Angesichts dessen wirkt es fast schon wie eine Bagatelle, dass Putin zu Hause soeben ein mediales Fiasko erlebte, weil die Agentur Reuters vorige Woche ein Licht auf das Leben von Putins Töchtern geworfen hat. Dennoch war der Teufel im Establishment los, wie schon lange nicht mehr. Pikant sind vor allem die Details über die jüngere von beiden, die unter dem Tarnnamen Katerina Tichonowa den 1,7 Mrd. Dollar teuren Ausbau des Uni-Campus und einen Innovationsfonds leite, in dessen Kuratorium Putins KGB-Freunde sitzen. Zudem sei sie mit Kirill Schamalow verheiratet, dem Sohn von Putins Datschennachbarn Nikolaj Schamalow. Kirill ist mit seinen 33 Jahren Milliardär, weil Großaktionär im Petrochemiekonzern Sibur.Eigentlich sind Familienangehörige der Elite in Russland medial tabu. Dabei haben die Kinder längst die Schaltstellen der Konzerne besetzt. Sieht man sich die Biografien genauer an: Sergej Iwanow etwa, Sohn des gleichnamigen Ex-Verteidigungsministers und heute Stabschefs im Kreml, war bis vor Kurzem Vizechef der drittgrößten Bank Gazprombank und leitet heute Sogaz, den zweitgrößten Versicherungskonzern, der seinerseits Konzerne wie Gazprom versichert. Sergejs Vize dort ist übrigens Putins Großneffe Michail Putin.Putins Hauptberater in der nun militärisch gestützten Außenpolitik ist Nikolaj Patruschew, ebenso Abkömmling des KGB und heute Präsident des Nationalen Sicherheitsrates. Sein jüngerer Sohn Dmitri war zwischendurch Vizechef der zweitgrößten und staatlichen Bank VTB, ehe er die Leitung der staatlichen Rosselchozbank übernahm. Sein älterer Sohn Andrej sitzt im Vorstand von Gazprom-Neft, Russlands drittgrößter Ölgesellschaft.Der Nachwuchs gibt sich nicht mit Mittelstandsunternehmen ab, sondern drängt in Schlüsselkonzerne. Boris Kowaltschuk etwa, Sohn von Putins Datschennachbarn und milliardenschweren Banker Juri Kowaltschuk, leitet den Stromkonzern Inter RAO. Auch der jetzige FSB-Chef Alexandr Bortnikow hat seinen Sohn Denis prominent platziert als Vorstand der landesweit zweitgrößten und staatlichen Bank VTB. Ihr Chef, Andrej Kostin, hatte seinen Sohn, der später verunglückte, als Vizechef der Deutschen Bank in Russland untergebracht.Der Reigen setzt sich fort. Michail Fradkow, zuvor russischer EU-Botschafter, dann Premierminister und heute Chef des Auslandsgeheimdienstes SWR, hat zwei Söhne. Der ältere, Pjotr, ist Erster Stellvertretender Präsident des größten staatlichen Finanzvehikels Vneschekonombank und leitet dort das 2015 gegründete Russian Export Center zur Entwicklung der russischen Exportwirtschaft. Der jüngere Sohn, Pavel, wurde zum Vizechef der Agentur zur Verwaltung staatlichen Eigentums ernannt.Das alles schafft Klammern, die das Establishment zusammenhalten. Mitunter sogar durch Heiraten verstärkt. Von einem “neofeudalen System” spricht daher der führende Oppositionspolitiker Alexej Nawalny. “Vor einigen Jahren dachten wir, dass das alles einfach Vetternwirtschaft ist”, sagte er in diesem Jahr einmal gegenüber der “Financial Times”: “Aber jetzt verstehen wir, dass dahinter eine langfristige Planung steckt.” Putin errichte eine dynastische Regierung.Die Kinder selbst indes verdienen nicht nur in ihren neuen Hauptfunktionen, sondern auch mit der administrativen Ressource. Mit ihren Familiennamen nämlich gehören sie zu den attraktivsten Adressen für andere Geschäftsleute, um Angelegenheiten auf dem kurzen Dienstweg ganz oben zu regeln. “Reschalschiki” heißen sie daher im Russischen – zu Deutsch: “Problemlöser”. Der größte unter ihnen: Kirill Schamalow.