IM BLICKFELD

Peking sucht nach der Zauberformel für Benzinpreise

Von Norbert Hellmann, Schanghai Börsen-Zeitung, 14.3.2013 Benzinpreisbewegungen sind bekanntlich allerorten dazu geeignet, die Gemüter zu entzünden. In Europa sorgen Tankstellenbetreiber für Unmut, wenn sich Ölpreisverteuerungen sehr geschmeidig,...

Peking sucht nach der Zauberformel für Benzinpreise

Von Norbert Hellmann, SchanghaiBenzinpreisbewegungen sind bekanntlich allerorten dazu geeignet, die Gemüter zu entzünden. In Europa sorgen Tankstellenbetreiber für Unmut, wenn sich Ölpreisverteuerungen sehr geschmeidig, entsprechende Preissenkungen aber etwas schleppender an den Zapfsäulen niederschlagen. In China gibt es nur eine Instanz, über die man schimpfen kann, wenn sich der Treibstoff auf gefühlt ungebührliche Weise verteuert, nämlich die Regierung. Die Tankstellenbetreiber – allesamt Ableger der staatlichen Ölkonzerne – sind im Rahmen einer Preisadministrierung an die in unregelmäßigen Abständen angepassten Abgabepreise für Benzin und Diesel gebunden. Reformruck absehbarChinas Fünfjahresplan sieht zwar grundlegende Energiemarktreformen vor, doch sind die Konturen noch sehr unscharf. Der laufende Pekinger Volkskongress samt unmittelbar bevorstehender Regierungsumbildung nährt die Hoffnung, dass sich Peking diesmal wirklich einen Reformruck gibt und das Benzinpreisregime modernisiert und marktnäher gestaltet. Seit den frühen neunziger Jahren, als China zum Nettoimporteur von Erdöl wurde, greift ein staatliches Preisdiktat für Ölraffinerieprodukte. Im Prinzip dient es der Deckelung von Treibstoffkosten, um Industrie und Verbraucher zu entlasten und die Kontrolle über einen Inflationsherd zu behalten.Das derzeit angewendete System hat allerdings seine Macken. Man bedient sich einer obskuren Berechnungsformel, die einerseits globale Ölpreisentwicklungen nachvollziehbar reflektieren, anderseits aber auch Spielraum lassen soll, um wirtschaftspolitische Akzente zu setzen. Dass dies nicht immer funktioniert, kann man sich leicht ausmalen. Im Zuge wachsender Ölimporte werden die heimischen Ölkonzerne auf eine harte Probe gestellt. Sie dürfen Verteuerungen des zu Weltmarktpreisen eingekauften Öls nur bedingt an der Zapfsäule weitergeben und erleiden derzeit hohe Verluste im Raffineriegeschäft. Neidvoller Blick nach TaiwanAber auch die Verbraucher sind oft unzufrieden. Für erheblichen Unmut sorgte die jüngste Treibstoffpreisanpassung Ende Februar, mit der Normalbenzin um 0,22 auf 8,05 Yuan (1 Euro) pro Liter anzog. Peking wartete mit der Verteuerung um etwa 3 % zwar pflichtschuldig ab, bis das chinesische Neujahrsfest vollends abgeklungen war, hatte aber trotzdem Pech beim Timing. Am selben Tag nämlich wurden auf der dem chinesischen Festland gegenüberliegenden Insel Taiwan die Treibstoffpreise für Normalbenzin um 1 % auf umgerechnet 7,22 Yuan gesenkt, und zwar in Anpassung an den kurz zuvor gesunkenen internationalen Ölpreis.Die für Chinas Benzinpreissystematik verantwortliche Wirtschaftsplanungsbehörde National Development and Reform Commission (NDRC) hat sich einen Sturm der Entrüstung in sozialen Medien eingefangen. Eine erhöhte Benzinpreiskluft zwischen dem Festland und dem reichen Taiwan will chinesischen Verbrauchern nicht einleuchten. In Taiwan werden die Tankstellenpreise von der Monopolgesellschaft CPC wöchentlich adjustiert. Die NDRC aber bedient sich in ihrer Systematik einer extrem schwerfälligen Formel, bei der über 22 Arbeitstage hinweg ein gleitender Durchschnitt der Preisbewegungen eines Korbes von Ölpreissorten berechnet wird. Bei einer Veränderung von mehr als 4 % nach oben oder unten sieht die NDRC einen Anlass zur Preisanpassung. Die genaue Berechnungsformel für den Durchschnitt wird allerdings nicht publik gemacht.Ölanalysten betonen, dass es nach einer chinesischen Preisanpassung Mitte November und dem Februar-Termin zu einem Preisanstieg von etwa 5 % gekommen sein dürfte, was eine Anhebung rechtfertigen würde. Bis sie aber zur Anwendung kam, wurde sie durch bereits wieder gefallene internationale Preise konterkariert.Der Ruf nach einem transparenteren und marktnäheren Ölpreisregime scheint nicht ganz ungehört zu verhallen. Auf dem Volkskongress fand der NDRC-Chef Zhang Ping überraschend klare und kritische Worte über die Mängel des gegenwärtigen Systems. Die 22-Tage-Periode sei in der Tat zu lang und könne die Preisfluktuationen am Weltmarkt nicht adäquat reflektieren. Gleichzeitig soll der eigentliche Preismechanismus flexibler werden, heißt es bei der NDRC. Man müsse unabhängig davon, ob sich Durchschnittspreise tatsächlich um mehr als 4 % verändern, Möglichkeiten zur Anpassung haben.Marktexperten erwarten, dass die NDRC auf einen zehntägigen Beobachtungszeitraum umschwenken und in Zukunft zeitnähere und häufigere Treibstoffanpassungen vornehmen wird. Eine echte Freigabe der Preise oder gar so etwas wie Preiswettbewerb im Tankstellensystem wird es allerdings kaum geben. Die NDRC dürfte nach wie vor bestrebt sein, beim Ölpreisregime ein wenig unberechenbar zu bleiben. Man befürchtet, dass es andernfalls zu einer landesweiten Spekulation auf Preisanpassungen kommt. Konjunkturziele in GefahrAngesichts Chinas drängender Umweltprobleme und des Ringens um mehr Energieeffizienz scheint die Bereitschaft, höhere Benzinpreise durchzusetzen, durchaus zu wachsen. Bei der gegenwärtig fragilen konjunkturellen Balance und einem beginnenden Inflationsauftrieb ist dies allerdings heikel. Eine rasche Erhöhung der Treibstoffkosten könnte die chinesische Wachstumsrate in diesem Jahr leicht um zwei oder drei Nachkommastellen schmälern. Und auch bei der Einhaltung der als verträglich angesehenen Inflationsobergrenze wird es eng. Eine Energiepreisreform, die die Einhaltung der konjunkturpolitischen Zielwerte in Gefahr bringt, wird sich die neue Regierung nicht leisten wollen.