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Pekings Einkaufszettel steckt voller Tücken

Von Stefan Reccius, Frankfurt Börsen-Zeitung, 8.2.2020 Das US-chinesische Teilabkommen im Handelsstreit ist noch nicht einmal in Kraft getreten, schon kommen Zweifel an der Umsetzbarkeit auf. Auf den flüchtigen Blick liegt das an Chinas Kampf mit...

Pekings Einkaufszettel steckt voller Tücken

Von Stefan Reccius, FrankfurtDas US-chinesische Teilabkommen im Handelsstreit ist noch nicht einmal in Kraft getreten, schon kommen Zweifel an der Umsetzbarkeit auf. Auf den flüchtigen Blick liegt das an Chinas Kampf mit dem Coronavirus, der Peking veranlasst, um Aufschub für die zugesagten Konzessionen beim Import von Gütern aus den USA zu ersuchen. Vereinbart ist, dass Peking seine Einfuhren aus den USA 2020 und 2021 in Summe gegenüber 2017 um mindestens 200 Mrd. Dollar erhöht. Statt den Handelsbeziehungen einen neuen Rahmen zu geben, Zölle oder sonstige Handelsbarrieren zu adressieren, ist diese Einkaufsliste der Kern des Abkommens. Fachleute sprechen von “Managed Trade”.Dieser handelspolitische Paradigmenwechsel wirft über die akuten Probleme mit dem Coronavirus hinaus eine Reihe von Problemen auf. Das beginnt bei den schieren Umfängen. 185,8 Mrd. Dollar betrug das US-Exportvolumen nach China im Ausgangsjahr 2017. Dieses Jahr sollen es 76,7 Mrd. Dollar mehr sein, nächstes Jahr 123,3 Mrd. Dollar. “Und bei einem genaueren Blick auf die Daten fällt auf, dass diese Werte noch unrealistischer sind als auf den ersten Blick angenommen”, sagt Chad Bown vom Peterson Institute for International Economics (PIIE).Ambitioniert wären die Umfänge schon in einem Szenario ohne Handelskrieg und Coronavirus. Auf den Zeitraum 2017 bis 2021 gerechnet entspricht die Zielvereinbarung einer jährlichen Wachstumsrate der US-Exporte nach China von 18 %. In den Jahren vor der Weltfinanzkrise waren es 21 %. Aber damals legte die chinesische Wirtschaft Jahr für Jahr zweistellig zu. Dieses Jahr dürften es weniger als 6 % sein. Zudem ist – und bleibt – ein Großteil der US-Exporte mit Gegenzöllen belegt. Der bilaterale Handel ist seit 2017 geschrumpft. Vom jetzigen Niveau müssten Chinas Importe sogar um circa 240 Mrd. Dollar steigen (siehe Grafik). PlanwirtschaftIn bester planwirtschaftlicher Manier sind Zielwerte bis auf Produktebene vorgegeben. In Summe müssen sich die US-Ausfuhren in den vier erfassten Bereichen fast verdoppeln, aber das variiert je nach Branche stark. Realitätsnah sind die vereinbarten Zuwächse nur bei den Dienstleistungen. Bown beziffert die “künstlich” erzeugte Nachfrage auf 73 Mrd. Dollar – unter der Annahme, dass Chinas Bedarf an Importgütern analog zu seiner Wirtschaftsleistung wächst. In den Sektoren Industrie, Energie und Dienstleistungen wuchsen die US-Exporte ins Reich der Mitte zuletzt nur schwach oder stagnierten, die Agrarausfuhren gingen zurück. Schreibt man diesen Trend im Warenverkehr fort, klafft eine Lücke von 100 Mrd. Dollar.Zu schaffen ist das nur, wenn Peking aus anderen Ländern substanziell weniger importiert. Bei Sojabohnen etwa dürfte es vor allem Brasilien treffen, das mehr als die Hälfte von Chinas Importen deckt. Beim Export von Kohle und verflüssigtem Gas muss wohl vor allem Australien zurückstecken, bei Meeresfrüchten russische und kanadische Exporteure. Bei Industriegütern trifft es die Europäische Union am härtesten, wie das Institut für Weltwirtschaft (IfW) hochgerechnet hat. Demnach summieren sich die Exportverluste 2021 auf knapp 11 Mrd. Euro gegenüber einem ungestörten Warenverkehr gemäß dem handels- und zollpolitischen Status quo vor dem Handelskrieg (vgl. BZ vom 22. Januar).Hauptleidtragende sind Maschinenbauer (-1,4 Mrd. Dollar), Autohersteller und -zulieferer (-2,4 Mrd. Dollar) sowie Flugzeugbauer (-3,7 Mrd. Dollar). Airbus droht Marktanteile an Boeing zu verlieren. Das ist besonders pikant, liegen die USA und die EU doch bereits im Streit über Subventionen über Kreuz. Die Welthandelsorganisation (WTO) hat Washington Entschädigungszölle über 7,5 Mrd. Dollar zugestanden. Brüssel dürfte nachziehen, sobald die WTO den Schaden beziffert hat. Nicht WTO-konformExperten halten die Einkaufsliste für unvereinbar mit WTO-Regeln – etwa jene, alle Handelspartner auf Basis von Preis und Qualität der gehandelten Produkte gleich zu behandeln. EU-Handelskommissar Phil Hogan hat angekündigt, einen Verstoß zu prüfen. “Wenn es ein Problem mit WTO-Regeln gibt, werden wir natürlich handeln.”Für US-Unternehmen schafft die Einkaufsliste nur scheinbar Klarheit. Zum einen sind 28 % der Importe Chinas aus den USA nicht erfasst. Der unerwünschte Nebeneffekt könnte sein, dass China Einfuhren in diesen Branchen zurückfährt oder auf andere Handelspartner ausweicht, um sich mit ihnen gutzustellen. Hier könnte es also zu Handelsumlenkungen zulasten der USA kommen -darauf geht das Abkommen nicht ein. Für vermeintliche Profiteure auf US-Seite stellen sich hingegen Fragen der Planungssicherheit. Wesentliche Streitthemen der künftigen Handelsbeziehungen wie Pekings Subventionen für Staatsunternehmen sind ungelöst, die nächste Eskalation ist absehbar. Beide Seiten haben zudem das Recht, die Teilvereinbarung aufzukündigen, wenn im Streitfall nach 90 Tagen keine Einigung gefunden ist. Werden Firmen und Farmer in einem solchen Umfeld in großem Stil in Anlagen investieren, Maschinen anschaffen und Personal einstellen?Die US-Regierung wirbt damit, die Einkaufsliste mache nachprüfbar, ob Peking sich an seine Zusagen hält. Allerdings lässt der Vertrag offen, wessen Daten einschlägig sind. In der Regel weisen Pekings Statistiker höhere Werte für den Warenverkehr aus als Washingtons. Auch in diesem Punkt steckt der Teufel im Detail.