Pessimismus in der Pampa
Von Andreas Fink, Buenos AiresDie Zuversicht hatte kein langes Leben. Nur zwei Monate nach Argentiniens Übereinkunft mit seinen Gläubigern an der Wall Street steht das Land erneut am Abgrund. Weder die Übereinkunft, die das Land bis 2028 von großen Zinslasten befreit, noch ein vergleichsweise moderater Haushaltsentwurf für 2021 konnten bei den Bürgern und Investoren Vertrauen wecken. Die Delegation des Internationalen Währungsfonds (IWF), die am Dienstag in Buenos Aires eintraf, dürfte vor allem ein Alarmsignal nach Washington übermitteln: Argentinien gehen die Devisen aus.Makler und Banken im Finanzdistrikt von Buenos Aires müssen dieser Tage ständig die gleiche Frage beantworten: Wie viele Dollar hat das Land noch flüssig? Die Notenbank macht diese Angaben nicht, aber Finanzexperten kommen auf dramatische Werte: Würden die Goldbarren im Wert von 3,7 Mrd. Dollar nicht mitgezählt, wären die Netto-Liquiditätsreserven bereits um 2 Mrd. Dollar negativ, errechnete die Beratungsfirma Portfolio Personal Inversiones. Auf einen ähnlichen Wert kam J.P. Morgan Chase & Co. Auch wenn die Notenbank solche Schätzungen nicht kommentiert, zeigte sie in den letzten Wochen Nerven. Private Sparer kommen kaum mehr an Dollar, Firmen dürfen nur noch einen Teil ihrer Dollar-Schulden begleichen. Die Folge stellte sich alsbald ein: Die Parallelkurse zogen an. Anleger, die heute argentinische Aktien in argentinischer Währung kaufen, um sie in US-Devisen loszuschlagen, müssen etwa 150 Pesos pro Dollar ausgeben, ähnlich viel kostet der Dollar auf dem argentinischen Schwarzmarkt. Der offizielle Kurs, den die Zentralbank freilich allein für Wareneinfuhren gewährt, liegt bei 81,75 Pesos. Und die enorme Kursdifferenz nährt alle Art von Manövern. Während Importeure versuchen, möglichst viele Güter zum offiziellen Kurs einzuführen, halten Exporteure ihre Ausfuhren nach Kräften zurück. Sojaexporteure spekulieren auf jene Abwertung, die Notenbank und Finanzminister unbedingt vermeiden wollen, damit die Inflation nicht explodiert.Im Rahmen der Maßnahmen gegen die Covid-Pandemie hat die Regierung Höchstpreise festgelegt. Dennoch betrug die Geldentwertung im August im Vorjahresvergleich 40,7 %. Allerdings werden sich Festpreise für Lebensmittel, Energie und Telekommunikation nicht mehr lange halten lassen. Mangels externer Finanzierung musste die Zentralbank die Kosten der Krise mit der Notenpresse finanzieren. Seit Jahresanfang druckte die Zentralbank 1,7 Bill. Pesos, umgerechnet etwa 25 Mrd. Dollar. Das entspricht etwa 6,6 % des BIP. Aber weil die Emission traditionell vor Weihnachten noch zunimmt, dürfte die Notenpresse in diesem Jahr 9 bis 10 % des BIP drucken. Viele der frisch gedruckten Pesos landen auf dem Schwarzmarkt und fließen – in Dollar getauscht – aus dem Finanzsystem ab.Während Brasiliens Wirtschaft schon wieder deutlich zulegt, hat Argentinien allenfalls die Hoffnung, nicht noch weiter zu fallen. 2020 dürfte die Gesamtwirtschaftsleistung nach Regierungsschätzungen um 12 bis 13 % nachlassen – im Vergleich zum bereits miserablen Vorjahr. Im kommenden Jahr werde das Land wieder um 5 % wachsen, kalkuliert Finanzminister Martín Guzmán in seinem Budgetentwurf. Dort kalkuliert er mit einem Dollar-Kurs von etwa 100 Pesos.Wie realistisch das ist, wird er den Abgesandten des IWF in dieser Woche erklären müssen. Der Fonds, der bislang Verständnis für die geerbten Probleme der Regierung Fernández hatte, dürfte in den Verhandlungen um eine Umschuldung des bis 2023 fälligen 45-Mrd.-Dollar-Kredits deutliche Sparanstrengungen von Argentinien verlangen. Diese hat Guzmán in einem TV-Interview vorigen Sonntag ausgeschlossen. Das Land müsse wachsen, nicht schrumpfen. Und der Staat müsse die notwendigen Impulse setzen.Mehr als 500 Mrd. Dollar horten Argentinier außerhalb des Finanzsystems. Das Land hätte alle Möglichkeiten, selbst aus der Misere zu finden. Wenn die Bürger denn Vertrauen fänden. Dort sehen die meisten Analysten die Wurzel aller Probleme. Denn Fernández regiert offensichtlich auf Weisung seiner Vizepräsidentin Cristina Kirchner, die inmitten der immer noch nicht kontrollierten Pandemie aus ihrer Position als Präsidentin des Senats versucht, die Justiz des Landes umzubauen, um sämtliche Korruptionsverfahren gegen sie und ihre Kinder einzustellen. Derartige chavistische Manöver, die inzwischen direkte Angriffe auf den obersten Gerichtshof einschließen, verschrecken nicht nur Argentiniens Wohlhabende, die zurzeit reihenweise nach Uruguay übersiedeln.In den letzten Wochen und Monaten haben viele internationale Konzerne ihren vollständigen oder teilweisen Rückzug aus der Pampa angekündigt. Südamerikas größte Airline Latam schloss ihren Argentinien-Ableger, Emirates und New Zealand Airlines kappten ihre Verbindungen nach Buenos Aires. Der chilenische Retailer Falabella, ein Big Player in Südamerika, zieht sich ganz zurück. Starbucks schließt reihenweise Filialen, und Coca-Cola verlagert ihr Südamerika-Hauptquartier nach Brasilien. In der Pampa wird es nun Frühling. Aber es blüht allenfalls der Pessimismus.