Politische Risiken setzen Staatenratings 2016 zu

Unmittelbare Haushaltsprobleme treten zunächst in den Hintergrund, könnten aber durch aufkommende Reformwiderstände in Europa bald wieder akut werden

Politische Risiken setzen Staatenratings 2016 zu

Während rein fiskalisch induzierte Bonitätsrisiken zeitweilig aus dem Blickfeld verschwinden, rücken 2016 neuen Risiken in den Fokus. Sorgen machen das Wachstum in China, die Folgewirkungen der US-Zinserhöhung, der mögliche EU-Austritt Großbritanniens und die schwindende Kohäsion in Europa. Auch die Euro-Krise könnte wegen der zuletzt wieder gestiegenen Ungleichgewichte neu aufflammen, fürchten die Ratingagenturen.Von Stephan Lorz, FrankfurtDie Bonität der Staaten insgesamt hat sich im abgelaufenen Jahr nicht erneut verschlechtert. Die drei großen Ratingagenturen hatten sogar wieder etwas mehr Heraufstufungen (51 %) als Herabstufungen (49 %) vorgenommen. Das ergibt eine Zusammenstellung der Börsen-Zeitung zur Entwicklung der Ratingnoten (siehe Tabelle unten).Aber auch wenn die Finanzkrise weitgehend ausgestanden scheint und die Euro-Krise in den Hintergrund getreten ist, die Zinsbelastung zudem sinkt, was die Refinanzierung erleichtert, und die Finanzmärkte nicht mehr so hypersensibel auf jede Budgetveränderung reagieren, weil in Europa “Rettungsschirme’ aufgespannt worden sind, wären Hoffnungen verfrüht, dass es 2016 weiter in Richtung höhere Bonitäten gehen wird. Schließlich gibt es eine ganze Reihe ökonomischer und politischer Verunsicherungen, die sich schnell zu einer größeren Krise auswachsen und die Stabilität einzelner Staaten oder ganzer Staatengruppen erschüttern könnten.An erster Stelle wird hierbei von allen Ratingagenturen auf die chinesische Volkswirtschaft verwiesen, die womöglich nicht so dynamisch wächst wie bislang unterstellt. Fitch hat diesbezüglich ein Negativszenario durchgerechnet, das für China ein Jahreswachstum von nur noch 2,3 % zwischen 2016 und 2018 vorsieht statt der zuvor angesetzten 6 %. Ein solcher Einbruch hat nicht nur für die engen Handelspartner in Asien Bedeutung, sondern für alle Volkswirtschaften, denen wie Deutschland an einer starken Weltwirtschaft gelegen ist.Eine Eintrübung in China ist angesichts der Größe und Bedeutung dieser Volkswirtschaft schließlich in allen Teilen der Welt zu spüren. Statt wie von Fitch unterstellt um 1,9 % würden die EU-Länder nur noch um knapp über 1 % zulegen. Das deutsche Wachstum würde wegen der globalen Wechselwirkungen von 2,1 auf 1,3 % (2016) fallen bzw. von 1,7 auf 0,9 % (2017).Die Schwellen- und Industrieländer dürften wegen der Nachwirkungen der Finanzkrise und wegen der angespannten Haushaltslage ohnehin besonders empfindlich reagieren. Weder der Fiskal- noch der Geldpolitik stünden die nötigen Puffer zur Verfügung, um gegensteuern zu können, sorgt sich Moody’s. Zumal gleichzeitig auch noch die konjunkturstimulierende Kraft günstiger Energiepreise nachlassen könnte.Auch die Folgewirkungen der US-Zinserhöhung sind noch nicht vollumfänglich abzusehen. Jedenfalls, so schwant Fitch, werden die gegenläufigen Geldpolitiken – die US-Fed zieht die Zügel an, die anderen lassen sie eher noch lockerer – zu größeren Volatilitäten führen. Zugleich würden die Schwellenländer durch mögliche Abzüge von Kapitalinvestitionen zusätzlich unter Druck gesetzt, was wiederum Wechselwirkungen auf andere Industrieländer hat.Und schließlich sorgen sich die Bonitätswächter ein Jahr mehr um Europa. Für spätestens Ende 2017 steht die Abstimmung in Großbritannien über den möglichen Austritt aus der Europäischen Union an. Die Verunsicherung darüber ist schon jetzt zu spüren und treibt die Märkte um. Mehrere Agenturen warnten London bereits vor einer drohenden Herabstufung im Austrittsfalle.Viel schlimmer scheint es aber um die Kohäsion in der EU insgesamt und in der Eurozone bestellt. Nationale Tendenzen werden stärker, die ökonomischen Ungleichgewichte nehmen wieder zu, und Austeritätsgegner gewinnen an Einfluss. Das alles führt zu Reformmüdigkeit und untergräbt mittelfristig die Budgetstabilität – eine Entwicklung, welche die Finanzmärkte naturgemäß mit Argusaugen beobachten. Zumal die Belastungen aus der hohen Staatsverschuldung bisher nur durch die niedrigen Zinsen in erträglichen Größenordnungen gehalten werden (siehe Grafik). Die selbst unter diesen Umständen hohen BIP-Quoten in einigen Ländern signalisieren insofern ein enormes Zinsänderungsrisiko.Noch schlimmer wäre es aber, wenn die EU weiter an Bindungskraft verlöre und neue Hürden für den Binnenmarkt aufgestellt würden, wie es derzeit in der Flüchtlingskrise mit der Schließung der offenen Grenzen droht. S & P warnt in diesem Zusammenhang vor einer “Desintegration”, die unmittelbare Wirkung auf die Bonitätseinschätzung hätte. Ein weniger kohärenter Staatenbund erschwere schließlich die Reaktion auf neue Krisen und senke das Wachstumspotenzial, heißt es.