Sprunginnovationen

„Politischer Prozess und Verwaltung bremsen Innovation aus“

Vor eineinhalb Jahren ist die Agentur für Sprunginnovationen mit großen Ambitionen gestartet. Der Leiter der SprinD, Rafael Laguna de la Vera, ist weiter von dem Konzept überzeugt, drängt die nächste Regierung aber dazu, mehr zu tun.

„Politischer Prozess und Verwaltung bremsen Innovation aus“

Stefan Paravicini.

Herr Laguna de la Vera, Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich nach 16 Jahren an der Regierungsspitze zuletzt sehr kritisch über die Strukturen am Forschungsstandort Deutschland geäußert. Wie fällt Ihre Bewertung nach 18 Monaten an der Spitze der Bundesagentur für Sprunginnovationen, SprinD, aus?

Ich sehe, was die Bundeskanzlerin alles in Bewegung zu bringen versucht hat. Aber es ist eben so, dass der politische Prozess und die Verwaltung darunter eine Lehmschicht sind, die viel Innovation ausbremsen. Wir müssen verdammt viel ändern. Wir haben uns etwas festgefahren. Wir geben viel Geld aus für Innovationsfinanzierung, daran liegt es nicht. Die Frage ist aber, was kommt hinten für die Volkswirtschaft raus und da haben wir definitiv noch sehr viel Luft nach oben.

Wo muss die nächste Regierung ansetzen, um die Lehmschicht aufzubrechen?

Wir haben die Instrumente in der Hand und die Regierung verfügt schon heute über 90% der Werkzeuge, die sie dafür benötigt. Wir müssen mehr agile Agenturen aufstellen, die sich wie SprinD um Spezialthemen kümmern. Wir haben ja noch andere Innovationsthemen, etwa rund um die Digitalisierung. Die Agenturen müssen dann aber auch die nötigen Freiräume bekommen.

Wie kann das gelingen?

Wir können die Agenturen von Einschränkungen befreien wie etwa der Anwendung des Besserstellungsgebots, das es zum Beispiel in Deep-Tech-Themen schwierig macht, das richtige Personal zu bekommen. Auch die strikte Anwendung des Vergaberechts sollte für sie nicht gelten, wobei man diese Fesseln auch auf europäischer Ebene lösen muss. Das dicke Brett ist aber das Beihilferecht, das in Brüssel adressiert werden muss. Und nicht zuletzt müssen wir uns das Einkaufsverhalten des Bundes anschauen. Das geht es um eine Zehnerpotenz mehr Geld als alle Fördermittel, die wir haben.

Der Bundeswirtschaftsminister hat auf der Hannover Messe angekündigt, E-Government-Experten aus Estland einzufliegen. Das würde man in den USA oder in China anders machen, oder?

Ja, die Amerikaner kaufen IT bei Oracle und Microsoft. Sie würden aber auch keine Raketen bei Ariane bestellen, sondern bestellen die bei SpaceX. Auch die Chinesen machen das konsequent. Wir verbieten uns solch eine Einkaufspolitik mit den Gesetzen, die wir uns selber geben. Wenn sie mehr als 200000 Euro an Steuermitteln ausgeben, müssen sie weltweit ausschreiben. Dann kommt in der Regel der Billigste zum Zug. Wir entziehen uns selber der Steuerungskraft dieses Instruments.

Haben Sie den Eindruck, dass es in der Politik Verständnis für diese Zusammenhänge gibt?

Ich stoße da überall auf offene Ohren und es wird heiß diskutiert. Wenn ich mir die Programme der relevanten Parteien anschaue, ist die Agilisierung des Innovationssystems überall ein Riesenthema. Es gibt in den Fraktionen keinen Mangel an Leuten, die das Thema wahnsinnig wichtig finden. Das stimmt mich auch optimistisch, dass wir es nach der Bundestagswahl im Koalitionsvertrag einer neuen Regierung auch wichtig genug aufhängen.

Die SprinD ist mit dem Vorbild der US-Behörde Defense Advanced Research Projects Agency (Darpa) gestartet. Sollte die militärische Innovationsforschung auch in Deutschland mit der zivilen Forschung gekoppelt werden?

Erstmal ist es immer gut, Dinge zu bündeln, die ähnlich sind. Wir sind aber nicht die USA. Das Pentagon hat ein Budget von 780 Mrd. Dollar. Das ist ein Vielfaches des Etats des Verteidigungsministeriums. Ich glaube, dass wir uns das Ausgabeverhalten des Bundes anschauen und die Ausgabenflüsse identifizieren sollten, die Innovation fördern können. Und dann muss man schauen, wie man eine übergreifende SprinD aufbaut. Da kann dann durchaus auch das Thema Verteidigung mit drin sein, muss aber nicht.

Sie betonen die Bedeutung von Agilität im Innovationssystem. Wie macht man eine Agentur der Bundesverwaltung agiler?

Durch Abkoppelung. Die Idee hinter Agenturen wie SprinD lautet, GmbHs zu gründen wie sie in der Privatwirtschaft üblich sind, ohne sie so weit einzuschränken, dass sie am Ende doch wieder eine Behörde sind. Dazu brauchen sie ein globales Budget für fünf Jahre und Ziele mit einem Vertrauensvorschuss. Stattdessen gibt es viel Micromanagement. Wenn man sich bei jeder Entscheidung an die Verwaltung wenden muss, kann das nicht schnell und agil sein.

Vertrauensvorschuss ist gut, Kontrolle ist besser?

Die Leistungskontrolle sollte sich an den Ergebnissen orientieren. Auch als GmbH läuft man unter den Vorgaben des Handelsgesetzbuchs (HGB) sowie des Public Corporate Governance Kodex des Bundes (PCGK) und wird vom Bundesrechnungshof sowie von Wirtschaftsprüfern entsprechend geprüft. Das reicht doch, da müssen nicht auch noch drei Ministerien auf vier Hierarchieebenen jede Einzelentscheidung sichten und freigeben. Wenn man das abschafft und die Agenturen machen lässt, aber auch durchgreift, wenn es mal nicht läuft, dann wären wir der angestrebten Entfesselung ein gutes Stück näher gekommen.

Wie fällt nun abgesehen von all den Hemmnissen Ihr Fazit nach 18 Monaten SpinD aus?

Erstens hat sich die These, dass es einen Raum gibt, der von der derzeitigen Forschungsförderung nicht ausgeleuchtet wird, als richtig erwiesen. Wir haben mittlerweile mehr als 600 Projekteinreichungen. Davon sind 10% so, dass wir denken, sie könnten Sprunginnovationspotenzial haben. 15 Projekten haben wir Geld gegeben, vier bekommen jetzt großes Geld und vielleicht noch ein fünfter in diesem Jahr. Das ist die gute Nachricht: Es gibt genug Substanz, das sind tolle Projekte. Da geht es um einen Alzheimer-Wirkstoff, einen Analogcomputer, die Filterung von Mikroplastik aus dem Wasser. Das sind übrigens alles Plattformen, die man multipel anwenden kann wie mRNA-Wirkstoffe. So etwas hat immer großes Potenzial, eine Sprunginnovation zu werden. Zweitens sind diese Talente patriotisch genug, es trotz aller Widrigkeiten in Deutschland zu versuchen. Wenn wir nicht agil genug sind, wandern sie allerdings ab, das ist uns auch schon passiert. Das ist ein großes Problem. Drittens haben wir gelernt, was alles verbesserungswürdig ist an der Konstruktion der SprinD. Darüber können wir jetzt Auskunft geben und können auch sagen, wie wir es besser und richtig machen müssten.

Wie wählt die SprinD eigentlich aussichtsreiche Projekte aus?

Wir sind themenoffen gestartet und wollten erst einmal wissen, was da draußen los ist. Wir haben einen Katalog von 80 bis 90 Kriterien, um abzuwägen, ob etwas Sprunginnovationspotenzial hat. Wir können nicht alles wissen, deswegen haben wir ein Netzwerk von Experten aufgebaut, aus dem wir fantastische Unterstützung bekommen.

Wo liegt der Fokus?

Wir sind fokussiert auf Potenzial, das wir hier im Land skalieren können. Von den eingereichten Projekten kommen 30% aus dem Bereich Energie und Umwelt, 30% stammen aus dem Bereich Medizin und Bio-Sciences, das passt sehr gut zu uns. Noch einmal 30% haben primär mit Digitalisierung zu tun, wobei das natürlich ein Querschnittsthema ist. Der Rest kommt aus Bereichen wie sozialer Innovation und Architektur. Das gibt ein sehr gutes Profil für Deutschland wieder.

Stoßen Sie auch Themen an, wie es der Darpa mit ihren Challenges zum Beispiel rund um das autonome Fahren gelungen ist?

Ja, wir haben gerade die erste SprinD-Challenge für die Suche nach antiviralen Wirkstoffen angekündigt. Da legen wir auch richtig Geld hin. Und wenn wir unterwegs ein Team finden, das an etwas mit Sprunginnovationspotenzial dran ist, dann können wir uns die rauspicken und denen auch achtstellige Beträge geben.

Das Interview führte