IM INTERVIEW: ALEXEJ NOWAK

"Politisierung dominiert die Realität und die Wirtschaft"

Russlands Energieminister zum Transitvertrag mit der Ukraine, den Verhandlungen mit EU und Griechenland sowie den Ölpreisen

"Politisierung dominiert die Realität und die Wirtschaft"

– Herr Nowak, unser Interview im Vorjahr haben wir mit der Feststellung begonnen, dass man vor lauter Problemen des russischen Energiesektors mit Europa gar nicht wisse, wo zu fragen anfangen (vgl. BZ vom 18.9.2014). Seither haben die Probleme nur noch zugenommen. Es sieht aus, dass mehr entstehen als gelöst werden.Die Liste der ungelösten Fragen besteht tatsächlich schon lange – seit zwei Jahren. Immerhin lösen wir inzwischen innerhalb Russlands einige der Probleme auf dem Energiesektor. Mit Europa befinden sich die Beziehungen hinsichtlich des Energiedialogs in einer Krise.- Dafür läuft es bei Ihnen selbst blendend. Sie haben Wladimir Putins Vertrauen und sollen im Juni zusätzlich in die Aufsichtsräte der drei größten russischen Gas-, Öl- und Elektrizitätskonzerne – Gazprom, Rosneft und Rosset – einziehen. Damit werden Sie wohl zum mächtigsten Mann auf dem Gebiet.Das würde ich nicht so sehen. Es ist kein ungewöhnlicher Vorgang. Früher waren Staatsvertreter in diesen Gremien. Dann wurden sie entfernt. Und heute, angesichts der schwierigen Situation und der Notwendigkeit, langfristige Entwicklungsprogramme abzustimmen, erschien es eben wieder sinnvoll, dass wir über den Aufsichtsrat an den Beschlussfassungen teilhaben.- Gazprom steigt beim deutschen Versorger VNG aus. Ein Tausch von Vermögenswerten mit Wintershall ist geplatzt. South Stream ebenso. Bedeutet der Rückzug Gazproms eine strategische Änderung bezüglich des Engagements in Europa?Die einzelnen Ereignisse müssen nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben. Der Verkauf des Minderheitsanteils bei VNG ist als Effizienzsteigerung für Gazprom zu sehen.- Aber Gazprom geht zunehmend aus Europa raus?Stellenweise gehen wir raus, stellenweise rein. Gazprom hat viele Tochtergesellschaften, die in Europa aktiv sind. Ihre Schlüsse sind voreilig.- Sie scheinen aber taktisch zu beruhigen. Gazprom-Chef Alexej Miller sagt, das jahrzehntelang funktionierende Modell der gegenseitigen Abhängigkeit und des gegenseitigen Vordringens habe nun ausgedient. Das neue Modell der vielschichtigen Diversifizierung sei aber weniger zuverlässig, was die Gasversorgung betrifft. Stimmen Sie dem zu?Ja. Europas Energiepolitik zielt auf die Änderung der Regeln, die langfristig und effizient funktionierten. Und die neuen Regeln schreiben die Mechanismen der Kooperation nicht genau vor. Heute setzt man auf das vorhandene Flüssiggas (LNG) und verzichtet auf langfristige Verträge. Und wenn es morgen kein LNG gibt, was dann? Außerdem: Um so wie jetzt große Mengen Gas zu liefern, muss man die Förderkapazitäten entwickeln. Dafür aber braucht es Abnahmesicherheit. Der totale Übergang auf über die Börse gehandeltes Gas (Spotmarkt) ist unmöglich und sehr riskant. Spot funktioniert, wenn Überfluss an Gas besteht. Dann sind die Preise niedrig. Sind aber die Preise niedrig, wird nicht investiert. Daher rührt dann die Phase, wo Engpässe entstehen. Es braucht daher eine Balance zwischen langfristigen Verträgen und Spothandel.- Aber warum soll Diversifikation an sich schlecht sein? Auch Gazprom diversifizierte Abhängigkeiten, indem es etwa Nord Stream zur Umgehung des Transits durch die Ukraine gebaut hat.Das Problem ist: Das neue Dritte Energiepaket der EU, das Gasförderunternehmen wie Gazprom verbietet, gleichzeitig auch exklusiver Pipelinebetreiber zu sein, funktioniert nur auf dem EU-Binnenmarkt, wo ein Produkt, das innerhalb der EU gehandelt wird, dem gesunden Wettbewerb unterworfen werden muss. Aber wenn man ein Produkt aus dem Ausland erhalten will, können diese Regeln nicht funktionieren. Deshalb wurde auch noch keine einzige neue Pipeline nach diesen Regeln geschaffen. Private Investoren bauen keine Pipeline ohne Garantien. Also kann man nur entweder mit EU-Geldern bauen, oder man muss für einzelne Pipelines Ausnahmen vom Dritten Energiepaket gewähren. Das hat man für die Nabucco-Pipeline getan und auch für die TAP (Pipeline für Gas aus Aserbaidschan). Uns aber hat man es für South Stream verweigert. Also bauen wir nun eine Pipeline in die Türkei. Von dort muss die EU die Weiterleitung selbst organisieren. Es sei denn, man gibt uns eine Ausnahmegenehmigung.- Sie wollen die Ukraine als Transitland umgehen und machen nun gleichzeitig die Türkei, durch die auch aserisches und vielleicht einmal irakisches oder iranisches Gas fließt, zu einem neuen Großtransitland.Hinsichtlich der physischen Volumina kann die Türkei das werden.- Warum bauen Sie die geplante Pipeline durch das Schwarze Meer nicht bis in das EU-Land Bulgarien und übergeben dort das Gas den EU-Importeuren?Theoretisch ist das möglich, wenn es ökonomisch sinnvoll wäre. Aber Bulgarien ist eben ein EU-Land. Wenn wir das Gas schon nach Bulgarien transportieren würden, wäre es sinnvoller, es gleich weiter zum Endverbraucher – zum Beispiel nach Deutschland – zu liefern. Aber die EU-Kommission stellte sich dagegen. Deshalb ist das Projekt South Stream geplatzt. Nun wollen wir das Gas bis zur EU-Außengrenze in der Türkei liefern.- Sie könnten es sich einfacher machen und das Gas nur bis zur Ostgrenze der Ukraine liefern. Dann bräuchten Sie keine neue Pipeline bauen, und die EU soll sich um den Transit durch die Ukraine selber kümmern.Diese Variante wird nicht in Betracht gezogen. Die Risiken der Konsumenten in der EU wären noch größer.- Miller sprach dieser Tage von einer Lieferpause. Meinte er, wenn die EU dem internationalem Projekt Turkish Stream nicht zustimmt und der Transitvertrag mit der Ukraine 2019 ausläuft, dass die EU kein Gas mehr bekommt?Im Prinzip geht es darum, dass wir ein entsprechendes Energiepaket geschnürt haben und nun Vorschläge seitens der EU erwarten.- Halten wir fest: Ab 2020 liefert Gazprom definitiv kein Gas mehr durch die Ukraine?Gazprom wird seine Vertragsverpflichtungen gegenüber den Konsumenten in Europa erfüllen. Wir sehen keine Möglichkeit, den Transitvertrag mit der Ukraine zu verlängern.- Eine wichtige Frage ist: Wenn Gazprom das Gas plötzlich über die Türkei liefert, müssen dann nicht auch alle Verträge mit den europäischen Abnehmern geändert werden?Die Vertragskonditionen sind mit jedem Land anders, weshalb auch jeder Vertrag einzeln geprüft werden muss. Wir können auch mehr über Nord Stream liefern, denn die Kapazitäten über Nord Stream und über die Anschlusspipeline Opal sind ja derzeit gar nicht alle genutzt.- Gazprom kann die Kapazität von Opal nicht zur Gänze nutzen, denn die EU blockiert auch hier. Gibt es diesbezüglich Bewegung?Nein. Die Position der EU hat sich auch unter den nun neuen Führungspersönlichkeiten nicht geändert.- Haben Sie das etwa erwartet?Ja. Allein wegen der Minimierung von Risiken, die beim Transit durch unzuverlässige Länder entstehen können. Daran müsste die EU eigentlich interessiert sein.- Diskutieren Sie die Pipeline Turkish Stream bereits mit der EU?Wir haben das Projekt im Januar präsentiert. Die EU spielt jetzt unterschiedliche Varianten durch. Wir warten.- Und wenn die EU sich weigert, eine Anschlusspipeline zu bauen?Dann heißt das wohl, dass sie dieses Gasvolumen nicht braucht. Auch wir werden unterschiedliche Varianten prüfen. Man müsste sich einfach im Rahmen des Energiedialogs über diese Projekte einig werden. Aber dazu braucht es einen Willen. Leider kann ich an diesen Willen auf der EU-Seite derzeit nicht glauben. Die Politisierung dominiert die Realität und die Wirtschaft. Die Politik sollte sich die Meinung der europäischen Energiekonzerne anhören.- Mit dem neuen EU-Kommissar Miguel Arias Cañete kommt man also auch nicht besser voran?In den entscheidenden Fragen wird nichts unternommen. Aber es geht nicht um die beteiligten Personen. Sie alle sind in ihrem politischen Rahmen gefangen. Deshalb gibt es ja auch keinen Dialog. Dort aber, wo die EU will, nämlich bei den Beratungen über Lieferungen in die Ukraine, ist sie sehr aktiv. Und wir gewähren der Ukraine Preisnachlässe, damit sie die Speicher füllen können.- Simon Pirani vom Oxford-Institut für Energiestudien hat dieser Tage die Theorie aufgestellt, dass die zunehmende Belieferung der Ukraine mit russischem Gas aus Europa (Reverse Flow) Gazprom zu den Preisnachlässen veranlasst – sprich Gazprom zu marktwirtschaftlichem Agieren zwingt.Der Reverse Flow ist vom Volumen her beschränkt. Und überhaupt ist es seltsam, dass Europa das Gas bei uns kauft, um es dann der Ukraine weiterzuverkaufen. Dass wir im Jahr 2014 weniger Gas nach Europa geliefert haben, hatte hauptsächlich mit dem warmen Wetter zu tun. Dieses Jahr werden wir den Export um 15 % auf etwa 160 Mrd. Kubikmeter steigern.- Weil der Preis absackt?Es liegt nicht am Preis, sondern am Bedarf.- Ein neues trilaterales Treffen mit der Ukraine wurde neulich verschoben. Es sollte um eine Regelung gehen, die bis nächstes Jahr gültig ist. Steuern wir wieder auf einen Konflikt zu?Für das nächste Quartal ist alles geklärt. Es braucht keinerlei neue Dokumente. Wir haben nicht vor, den bestehenden Vertrag zu ändern.- Was haben Sie mit dem griechischen Premierminister Alexis Tsipras in Moskau vereinbart?Es ging um laufende Fragen der Gaslieferungen. Der Vertrag über Lieferungen wurde ja im Vorjahr bis 2026 verlängert. Offen sind Fragen zu verpflichtenden Abnahmemengen (“take or pay”) für 2014. Es gibt gewisse Bedingungen für eine Lösung.- Der Gaspreis wurde nicht besprochen?Doch. Die Preisformel wurde ja im Vorjahr flexibler gestaltet, und der Preis sank wegen des Ölpreisverfalls nun sehr.- Die Ukraine zahlt nun nur noch 248 Dollar je 1 000 Kubikmeter. Ist der Preis für Griechenland vergleichbar?Ja, er ist vergleichbar.- Aus Gazprom-Kreisen ist zu hören, Griechenland habe keine interessanten Aktiva zur Privatisierung anzubieten. Besteht dennoch Interesse?Ich kenne nicht die komplette Privatisierungsliste. Der griechische Energieminister hat Russland die Teilnahme an der Erschließung von Schelf-Lagerstätten für Öl und Gas angeboten. Das prüfen wir jetzt.- Können Sie schon sagen, wie sehr sich die Sanktionen des Westens gegen Russland wegen der Ukraine-Krise auf den russischen Ölsektor auswirken?Das Hauptproblem ist der Zugang zu Finanzierungen bei jenen Konzernen, die Sanktionen unterworfen sind. Hier aber hat der Staat Finanzierungsinstrumente entwickelt. Bei der Technologie herrscht bei einigen Projekten Klarheit, aber nicht ganz. Konzerne wie Total oder Exxon haben ihre Teilnahme an einzelnen Projekten auf Eis gelegt. Weil die ausländische Technologie derzeit fehlt, springen russische Experten selber ein. Es besteht also kein technisches Problem, sondern nur ein finanzielles.- Wie sehr werden also die Investitionen im Energiesektor gekürzt?Die Konzerne haben die Entscheidungen noch nicht getroffen. Aus ihren Gesprächen zu schließen, werden 20 bis 30 % weniger investiert werden als ursprünglich geplant. Gekürzt wird vor allem bei den teuren und schwierigen Projekten. Langfristig kann sich das auswirken. Im Moment fördern wir auf dem Niveau des Vorjahres oder sogar etwa höher. Viele Lagerstätten sind ja von Fördersteuer und Exportzöllen befreit und daher unabhängig vom Ölpreis attraktiv.- Wie sehr wird eine Rückkehr des Irans auf den Ölmarkt den Preis beeinflussen?Noch ist dies ja nicht entschieden. Und dann stellt sich die Frage, ob der Iran im Rahmen der Opec-Quote seinen Anteil erhöht oder ob die Opec wegen des Irans die Quote hebt. Nur letzteres hat Einfluss.- Prognosen des Ölpreises werden eine immer undankbarere Aufgabe. Alle irrten sich in den vergangenen Monaten. Was würden Sie nun schätzen?100 Dollar je Barrel werden wir in nächster Zeit nicht sehen. Für 2014 erwartete ich 60 Dollar, für 2016 bis 2017 dann 60 bis 70 Dollar.- Haben Sie Hoffnung, dass man mit Europa wieder in den Energiedialog zurückkehrt?Die Hoffnung stirbt zuletzt.- Vielleicht schon bald?Es ist alles zu sehr politisiert. Das ist ja das ganze Problem.- Der Ball liegt also im Feld der EU.Wir sind zum Dialog bereit und an einer langfristigen Kooperation interessiert. Aber die EU müsste auch daran interessiert sein. Das wichtigste wären Entscheidungen. Und diese wurden bisher leider nicht getroffen.—-Das Interview führte Eduard Steiner.