Populisten in der Poleposition

Irische Nationalisten ziehen in Meinungsumfrage kurz vor der Wahl an der Regierungspartei vorbei

Populisten in der Poleposition

Von Andreas Hippin, LondonDas Gespenst des Populismus hat nun auch Irland im Griff. Kurz vor der Parlamentswahl am Samstag schob sich die nationalistische Sinn Féin in einer Umfrage der “Irish Times” ganz nach vorn. Es ist ein politisches Erdbeben. Zum ersten Mal in einem ganzen Jahrhundert verfügt die Republik im Süden der Grünen Insel über ein Dreiparteiensystem. Bislang waren nur Fine Gael und Fianna Fáil dazu in der Lage, eine Regierung anzuführen. Aber ihre Machtbasis erodiert schon seit einiger Zeit. Bei den vergangenen Wahlen kamen sie gemeinsam auf weniger als 50 % der Stimmen. Dieses Mal könnten sie den Meinungsforschern zufolge noch weniger holen. Sinn Féin kam in der Umfrage auf 25 %, Fianna Fáil auf 23 % und Fine Gael, die Partei von Premierminister Leo Varadkar, auf lediglich 20 %. Der Rest verteilte sich auf die Grünen, linke Parteien und Unabhängige.Nach neun Jahren unter Fine Gael steht den Menschen der Sinn nach Veränderung. Themen wie Wohnungsnot und Missstände im Gesundheitswesen bestimmen den Wahlkampf. “Die Leute sind keine Dummköpfe”, sagte Mary Lou McDonald, die Führerin der Nationalisten vor einer Fernsehdebatte. “Es gibt nicht den geringsten Unterschied zwischen Fianna Fáil und Fine Gael und die Menschen sehen das.” Im Gegensatz zu den beiden Parteien der Mitte setzt Sinn Féin auf Steuererhöhungen und höhere Staatsausgaben, insbesondere um die Probleme am Häusermarkt anzugehen. Die linken Populisten wollen ungefähr das Doppelte der 11 Mrd. Euro ausgeben, die das Finanzministerium in der Zeit von 2021 bis 2025 für verfügbar hält – “keinesfalls eine radikale Summe”, kommentierte der ING-Volkswirt Bert Colijn die Pläne von Sinn Féin.Das gute Abschneiden in der Umfrage bedeutet allerdings nicht, das die ehemaligen Unterstützer der nordirischen IRA, denen immer noch gute Kontakte dorthin nachgesagt werden, auf eine Mehrheit im Dáil Éireann hoffen können. Das irische Wahlrecht begünstigt die großen Parteien. Umfragen sprechen Fianna Fáil um die 55 Sitze im Parlament zu, Fine Gael weniger als 45 und Sinn Féin unter 30. Alles in allem liegt die Zahl der Mandate bei 158. Für eine Mehrheit wären also 80 Mandate nötig. Derzeit wird Varadkars Minderheitsregierung von Fianna Fáil toleriert.Micheál Martin, der Chef von Fianna Fáil, hat gute Chancen, Varadkar als Taoiseach abzulösen. Seine Lieblingskonstellation wäre eine Koalition mit Labour, den Grünen, Sozialdemokraten und Unabhängigen. Auch eine von Fine Gael tolerierte Minderheitsregierung mit den Grünen und anderen wäre für ihn denkbar. Andere Modelle interessieren ihn nach eigenem Bekunden nicht. Möglich wäre aber auch eine große Koalition mit Fine Gael oder eine Koalition mit Sinn Féin. Werben um die ArbeiterklasseMartin versucht sich als Vorkämpfer der Arbeiterklasse zu profilieren, um der linken Programmatik der Nationalisten Paroli zu bieten und sich von Varadkars Weiter-so-Politik abzusetzen. Sein Problem dabei ist, dass er der Fianna-Fáil-Regierung angehörte, unter deren Führung Irland in die Finanzkrise schlitterte. Viele Menschen hatten unter den Folgen noch jahrelang zu leiden. Vor der Wahl 2011 wurde er Parteichef. Fianna Fáil fuhr damals ihr bislang schlechtestes Ergebnis ein.Varadkar unterstellt Martin, dass er auch eine Koalition mit Sinn Féin eingehen würde, um ihn im Amt zu beerben. Martin gehe zum dritten Mal als Parteichef in die Wahl. “Das ist seine einzige Chance, Taoiseach zu werden”, sagte Varadkar der “Irish Times”. Eine solche Koalition käme einem deutlichen Linksruck gleich. Die meisten Beobachter glauben allerdings nicht, dass es dazu kommen wird.