Portugal arbeitet sich aus der Krise

Politische Risiken wegen Unmut der Bürger wachsen - Finanzminister Gaspar zeigt sich zuversichtlich

Portugal arbeitet sich aus der Krise

Der konsequente Konsolidierungs- und Reformprozess in Portugal zeigt Wirkung: Die ökonomischen Eckdaten bessern sich. Doch stellt sich wie in den anderen Krisenstaaten in Europa die Frage, ob die Bürger notwendige weitere Härten widerstandslos hinnehmen werden.Von Stephan Lorz, Frankfurt Es ist wohl das Schicksal vieler Reform- und Konsolidierungsregierungen, dass sie die Früchte ihrer fiskalischen Aufräum- und strukturellen Umbauaktionen nicht werden ernten können. Viel zu schnell richtet sich der bürgerliche Unmut nach der Kehrtwende nicht mehr gegen die Verursacher der ökonomischen Schieflage, sondern gegen jene, die schmerzhafte Entscheidungen treffen mussten. Die Proteste in Griechenland, Spanien sowie auch in Italien gegen den parteilosen Ministerpräsidenten Mario Monti sind ein Signal. In Irland und in Portugal indes halten sich die Protestierer bisher noch zurück.Dies ist im Falle der Regierung in Lissabon wohl nicht zuletzt dem – wie Monti ebenfalls parteilosen – Finanzminister Vítor Gaspar zu verdanken, der seine Landsleute über die Folgen der früheren Konsum-, Investitions- sowie privaten und öffentlichen Verschuldungsexzesse aufgeklärt hat. Über die Jahre hinweg seien “gewaltige Ungleichgewichte in Portugal aufgebaut worden”, betonte er bei einem Vortrag des Center for Financial Studies (CFS), der Goethe-Universität und des House of Finance. Die Vorgängerregierung habe die Zeichen der Zeit nicht erkannt und viel zu spät umgesteuert.Dass der parteilose Ökonom, der zuvor bei der Europäischen Zentralbank (EZB) gearbeitet hatte und 2011 ins Kabinett des konservativen Passos Coelho berufen wurde, die Entwicklung vor der Krise durchaus kritisch gesehen hatte, bezeugen zum einen seine ökonomischen Aufsätze, zum anderen Aussagen in der Diskussion, in denen er freimütig bekannte, dass er zusammen mit dem früheren EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing beim Blick auf die Kredit- und Geldmengendaten durchaus auf die Risiken aufmerksam gemacht habe, sie beide aber mit ihren Mahnungen nicht durchgedrungen seien. Issing, der Gaspar nach Frankfurt eingeladen hatte, verwies auf die globalen Notenbanktrends, denen sich auch die EZB nicht habe entziehen können. Ein Abweichen vom Mainstream hätte ungeahnte Rückwirkungen gehabt, so Issing.Unverständnis äußerte Gaspar in diesem Zusammenhang auch über die vielfach geäußerte Kritik, der Konsolidierungskurs sei zu strikt, und gegenüber Forderungen nach einem noch stärkeren Krisenengagement der Notenbanken. Man könne eine Krise, die mit Überschuldung und lockerer Geldpolitik angefangen habe, nicht mit noch mehr davon bekämpfen. Hier seien allein Strukturreformen das richtige Instrument.Gaspar betonte, dass Portugal im Vergleich zu den anderen Krisenländern bei einem ersten Blick auf die Eckdaten nicht in der prekärsten Lage gewesen sei, was Leistungsbilanz- und Budgetentwicklung angeht. Aber im Hinblick auf die Nettovermögensposition – den Saldo aus öffentlichen und privaten Vermögen und Schulden – sei die Volkswirtschaft schon zu Beginn der Krise in arge Bedrängnis geraten. Hinzu sei der hohe Anteil ausländischer Bondholder gekommen, die bei Krisenausbruch umgehend einen Bogen um Portugal gemacht hätten.Der Grund für die verschwenderischen privaten und öffentlichen Ausgaben sieht Gaspar zum einen in den nach der Euro-Einführung außergewöhnlich niedrigen Zinsen, die falsche Anreize gesetzt hätten, und zum anderen in einer Regierung, welche in “totaler Verkennung der Lage” falsch reagiert habe. Es hätte Beobachtern im Land zu denken geben sollen, so Gaspar, dass trotz des immensen Nachfrageschubs über die Jahre hinweg das Wachstum “eher anämisch” gewesen sei. Viel zu spät seien die nötigen Entscheidungen getroffen und verabredete Sparziele umgesetzt worden.Nachdem die Troika aus EZB, Internationalem Währungsfonds (IWF) und EU für Portugal 2011 dann ein Hilfspaket über 78 Mrd. Euro schnürte und Privatisierungen durchgezogen, Strukturreformen angegangen, Einsparungen in beträchtlicher Größenordnung sowie Steuererhöhungen vorgenommen wurden, steht das Land nach Gaspars Bekunden inzwischen deutlich besser da. Sowohl die Troika als auch die internationale Gemeinschaft finden denn auch viele gute Worte über die zurückgelegte Wegstrecke. Der Löwenanteil der verabredeten Reformen und Entscheidungen ist nach seinen Worten bereits umgesetzt. Und anders, als es mancher Zweifler erwartete, ist 2012 auch die vereinbarte Defizitschwelle von 5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) eingehalten worden. Kritische SteuererhöhungEine finanzielle Erleichterung durch Streckung der Rückzahlung der Hilfsgelder wurde deshalb von Brüssel bereits signalisiert. Der Haushalt, so versicherte Gaspar, sei inzwischen – vor Tilgung und Zinsausgaben – im positiven Bereich (s. Grafik). Portugal könne nach dem Ende des Hilfsprogramms 2014 wieder in den Kapitalmarkt entlassen werden. Auch im internationalen Handel sei inzwischen ein Überschuss zu vermelden. Die Lohnstückkosten sinken, die Wettbewerbsfähigkeit nimmt zu, der Exportsektor wächst. Gaspar: “Wir sind in der Lage, unsere Schulden zu bedienen!”Aber auch für Portugal und die anderen Euro-Krisenländer gilt, dass die gegenwärtige Beruhigung an den Märkten schnell wieder umschlagen kann, sobald neue Negativmeldungen auftauchen. So ist noch unklar, ob die Einhaltung des Defizitziels 2012 auch von den Euro-Statistikern so gesehen wird. Schon im Jahr davor gab es Irritationen bei der Verbuchung. Außerdem wird die portugiesische Wirtschaft wohl auch 2013 schrumpfen, was sich auf die Steuereinnahmen niederschlagen wird. Die massiven Sozialkürzungen wiederum werden umgekehrt das Wachstum dämpfen. Statt eines BIP-Minus von 1,0 %, wie die Regierung hofft, dürfte es eher ein Minus von 1,9 % werden, wie Ökonomen prognostizieren. Das schmälert die Leistung der Lissabonner Regierung aber in keinster Weise: Die ersten positiven Signale auf den Finanzmärkten – niedrigere Zinsen und eine positive Aufnahme erster Staatsbonds – unterstreichen die Zuversicht.Bleibt die Frage, inwieweit die Bürger die Entwicklung mittragen. Ein Steuerzuschlag von 3,5 % auf alle Einkommen ist bereits vollzogen, nun steht eine drastische Erhöhung der Einkommensteuer an, die viele Steuerzahler für existenzbedrohend halten. Der Widerstand der Bürger wächst. Ökonomen fürchten zudem, dass mit der Steuererhöhung eine ökonomische Negativspirale in Gang kommt. Finanzminister Gaspar äußerte zwar Verständnis für die Proteste, doch gebe es “keinen Handlungsspielraum”. Es ist offenbar der Ökonom, der dabei aus ihm spricht: Die harten Fakten zählen. Doch es sind meist die “weichen” sozialen Faktoren, die das Schicksal von Regierungen entscheiden.