IM BLICKFELD

Portugals ungewisse neue Freiheit

Von Thilo Schäfer, Madrid Börsen-Zeitung, 7.5.2014 Am 25. April hat Portugal mit großen Fanfaren den 40. Jahrestag der Nelkenrevolution gefeiert, die das Ende der jahrzehntelangen Militärdiktatur herbeiführte. Der Stolz auf diesen historischen...

Portugals ungewisse neue Freiheit

Von Thilo Schäfer, MadridAm 25. April hat Portugal mit großen Fanfaren den 40. Jahrestag der Nelkenrevolution gefeiert, die das Ende der jahrzehntelangen Militärdiktatur herbeiführte. Der Stolz auf diesen historischen Moment war eine kurzfristige Ablenkung vom tristen Alltag der schweren Wirtschaftskrise im Lande. Die konservative Regierung von Pedro Passos Coelho ist sich nun nicht zu schade, um das am Sonntag verkündete Ende des Euro-Rettungsschirms ohne Nachfolgeprogramm als eine Art zweiten Moment der nationalen Befreiung darzustellen. Schließlich stehen Europawahlen vor der Tür. Kurzfristig keine ProblemeDabei fragt man sich in Lissabon noch, ob der Verzicht auf ein Sicherheitsnetz tatsächlich so freiwillig entschieden wurde, wie Passos Coelho versichert. Zwar gab es wichtige Befürworter eines Nachfolgeprogramms, etwa in der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank (EZB). Doch viele nordeuropäische Staaten, wie Finnland, hatten offenbar kein Interesse an einem weiteren Hilfsprogramm für die Südländer.Ab dem 17. Mai steht Portugal also wieder auf eigenen Beinen und zumindest auf kurze Sicht sollte es keine Probleme geben. Das Finanzministerium hat vorgesorgt und ein Polster angelegt, mit dem der Finanzierungsbedarf für ein Jahr gesichert ist. Die wirtschaftliche Wiederbelebung – das BIP wird nach Schätzungen der Kommission 2014 um 1,2 % wachsen – hilft beim Konsolidierungskurs. Brüssel erwartet, dass Portugal die Senkung des Staatsdefizits auf 4 % in diesem und 2,5 % im kommenden Jahr erreichen wird.Und dennoch ist der Troika bei der Situation etwas mulmig, wie die diversen schriftlichen und verbalen Statements der vergangenen Tage zeigen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die EU-Kommission warnen die Portugiesen vor “Selbstgefälligkeit” aufgrund der verbesserten Lage und drängen auf weitere Strukturreformen und Sparanstrengungen. Sie sehen Risiken an drei Fronten. Die Volatilität an den internationalen Finanzmärkten entzieht sich selbstverständlich jeglicher Kontrolle. Die Zinsen für zehnjährige Staatsanleihen liegen derzeit bei rund 3,6 % – nachdem sie zum Höhepunkt der Krise vor zwei Jahren bis auf 17 % gestiegen waren. Die erste Auktion langfristiger Titel seit Beginn des Hilfsprogramms vor zwei Wochen war ein Erfolg. Doch es reicht eine schlechte Meldung aus einem anderen Euroland oder etwa der Ukraine, damit Portugal sofort wieder in die Schussbahn gerät. Die Anleihen haben nach wie vor nicht Investment Grade.Sorgen machen der Kommission auch Ungewissheiten “legaler Art”. Gemeint ist damit das portugiesische Verfassungsgericht, das in den vergangenen beiden Jahren gleich mehrfach Haushaltsmaßnahmen für ungültig erklärte. Die Richter müssen noch darüber befinden, ob Teile des laufenden Haushalts verfassungskonform sind. Die Troika verlangt von der Regierung daher nach wie vor eine schriftliche Erklärung, wie man auf eventuelle Rückschläge legaler Natur reagieren würde. Neuwahlen im FokusSchließlich haben sich die Inspektoren der Troika auf ihren letzten Besuchen in Lissabon mehr und mehr mit der Politik befasst. Denn im Juni 2015 stehen Neuwahlen an und in den Umfragen liegen die Sozialisten der PS seit Monaten vor der rechts-liberalen PSD des Ministerpräsidenten. Dessen sozialistischer Vorgänger José Socrates hatte vor drei Jahren den Antrag auf internationale Hilfe gestellt, als das Land vor der Zahlungsunfähigkeit stand. Kurz danach gewann Passos Coelho die vorgezogenen Neuwahlen. Nachdem sich die PS anfangs zu einer Art Staatspakt für das Reformpaket unter dem Rettungsschirm verpflichtet hatte, kündigte sie vor einem Jahr den Dialog mit der Regierung auf. Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva, ein ehemaliger Ministerpräsident mit der PDS von Passos Coelho, versucht seitdem hartnäckig, den Konsens zwischen den großen Parteien wieder herzustellen – jedoch ohne Erfolg.Die Sozialisten machen sich den gewaltigen Unmut in der Bevölkerung über die Sparmaßnahmen zu eigen. “Das Hilfsprogramm ist vielleicht vorbei, aber die Opfer für die Menschen gehen weiter”, sagte der Parteiführer der PS, António José Seguro, zum Ende des Rettungsschirms. Die Arbeitslosigkeit ist in Portugal auf mehr als 16 % gestiegen, die Gehälter in den meisten Branchen wie auch im öffentlichen Dienst gesunken. Fast sämtliche Steuern wurden erhöht – erst vergangene Woche legte die Regierung bei der Mehrwertsteuer noch mal einen Viertelpunkt auf 23,25 % drauf – und die Renten wurden beschnitten. Unterm Strich bleibt eine spürbare Verarmung weiter Teile der Gesellschaft. Der IWF räumte vor Wochen selbst ein, dass man die sozialen Auswirkungen der Sparpolitik unterschätzt habe.Auch die Parteien links von der PS, besonders die kommunistische CDU, profitieren von der Stimmung im krisengeschüttelten Land. Ein Linksbündnis der Sozialisten mit diesen Parteien gilt nach der Erfahrung der jüngsten Zeit jedoch als ziemlich unwahrscheinlich. Sollte die PS Unterstützung brauchen, wird sie nach Meinung politischer Beobachter wohl eher auf den jetzigen kleinen Koalitionspartner zugehen, die christdemokratische CDS von Paulo Portas. Der stellvertretende Regierungschef hatte sich während des Rettungsschirms häufig den unpopulärsten und radikalsten Sparvorschlägen der jeweiligen Finanzminister der PDS widersetzt. Im Juli vergangenen Jahres wäre es im Streit um die Neubesetzung des Ministeriums beinahe zum Bruch der Koalition gekommen. Eine Regierung von PS und CDS würde erwartungsgemäß einen sozialverträglicheren Kurs einschlagen. Passos Coelho hofft aber darauf, dass bis zu den Wahlen der konjunkturelle Aufschwung auch bei den meisten Bürgern angekommen ist. Weiter unter BeobachtungWer auch immer ab dem nächsten Sommer in Lissabon an der Macht ist, er wird sich weiterhin mit den internationalen Gläubigern befassen müssen. Portugal steht so lange unter Beobachtung – einschließlich halbjährlicher Prüfungen -, bis drei Viertel der 78 Mrd. Euro aus dem Rettungsschirm zurückgezahlt sind. Und das wird eine Weile dauern. Insgesamt drückt das Land eine Staatsverschuldung von 130 %. Bevor die letzte Tranche der Hilfsgelder ausgezahlt wird, drängt die Troika nun auf verbindliche Verpflichtungen der Regierung für die nahe Zukunft, wie portugiesische Medien vermeldeten. Demnach soll Lissabon unter anderem schriftlich erklären, wie die endgültigen Reformen der Renten oder des Arbeitsmarktes aussehen werden. Diese Absichtserklärung oder “Letter of Intent” wird aber wahrscheinlich erst nach den Europawahlen am 25. Mai bekannt gegeben. Den Portugiesen bleibt der Verdacht, dass Passos Coelhos Vergleich mit der Nelkenrevolution vielleicht doch etwas übertrieben ist.