IM BLICKFELD

Pulverfass in Ostasien

Von Ernst Herb, Hongkong Börsen-Zeitung, 2.7.2016 Mit dem für den 12. Juli angekündigten Urteil des internationalen Schiedsgerichts in Den Haag über einen Territorialstreit in Ostasien steht eine Entscheidung von welthistorischer Dimension an. Das...

Pulverfass in Ostasien

Von Ernst Herb, HongkongMit dem für den 12. Juli angekündigten Urteil des internationalen Schiedsgerichts in Den Haag über einen Territorialstreit in Ostasien steht eine Entscheidung von welthistorischer Dimension an. Das Richtergremium soll einen Schiedsspruch zu Riffen und Meeresgebieten in der Südchinesischen See fällen, die sowohl von den Philippinen als auch China beansprucht werden. Dabei geht es allerdings um weit mehr als um den Streit zweier Staaten über fisch- und rohstoffreiche Gewässer. Peking akzeptiert Urteil nichtDas zeigt sich nicht nur daran, dass die chinesische Regierung von Anfang an erklärt hat, dass sie das Urteil nicht akzeptieren werde. Auch stellen Vietnam, Malaysia, Brunei und Taiwan zum Teil ebenfalls überlappende Ansprüche über Sektoren desselben Meeres. Vor allem aber kommen sich hier die Streitkräfte der USA und China mit ihren sich gegenseitig beschattenden Kampfflugzeugen und Kriegsschiffen immer wieder bedrohlich nahe. Mitte Mai fingen nur wenige Meilen entfernt von einem der umstrittenen Riffe zwei chinesische Kampfjets ein amerikanisches Spionageflugzeug ab. Das Manöver wurde von Seiten der USA als “gefährlich” bezeichnet.Chinas Marineadmiral Wu Shengli sagte bereits Ende 2015, dass schon ein “kleiner Zwischenfall Krieg auslösen” könnte. Die an Intensität gewinnende Konfrontation hat nicht nur damit zu tun, dass Washington – wie auch ein Großteil der Weltgemeinschaft – die Südchinesische See als internationales Gewässer betrachten, über das ein Drittel des Welthandels transportiert wird. Während Washington mit Verweis auf internationales Recht auf freie Navigation der Seefahrt pocht, beansprucht Peking mit Verweis auf hunderte von Jahren zurückgehende Wirtschaftsbeziehungen und eine 1947 veröffentlichte Seekarte einen Großteil dieses Meeres.In der Frage der Südchinasee prallt die alte globale Hegemonialmacht USA hart auf die aufstrebende Weltmacht China, die geopolitisch zunehmend an Einfluss gewinnt. Das trifft insbesondere auch auf den ganzen Pazifischen Ozean zu, den die USA nach ihrem Sieg im Zweiten Weltkrieg lange unbestritten beherrschten. Allerdings hat Washington diese Region während der Präsidentschaft von George W. Bush, abgelenkt von den militärischen Abenteuern in Nahost, vernachlässigt. China konnte nicht zuletzt deswegen in den vergangenen 15 Jahren in der Südchinesischen See mit seinen Fischerbooten, Erdölplattformen, Kriegsschiffen und Kampfflugzeugen breitspuriger auftreten.Allerdings machte Präsident Barack Obama 2011 mit dem Slogan “Pivot to Asia” die wirtschaftliche und strategische Hinwendung seines Landes zum asiatisch-pazifischen Raum zu einer der Prioritäten amerikanischer Außenpolitik. Ein Teil davon ist die von Washington vorangetriebene Transpazifische Partnerschaft (TPP), in der unter Ausschluss Chinas der weltweit größte Handelsblock geschaffen werden soll. Gleichzeitig wollen die USA mit der militärischen Eindämmung Chinas auch ihren jahrzehntelang unbestrittenen geopolitischen Einfluss in der Region sichern. Dass die US-Navy mit ihrer geballten Kraftentfaltung nur wenige Kilometer vor der chinesischen Küste patrouilliert, wird in Peking zunehmend als Bedrohung der nationalen Sicherheit wahrgenommen. Historische ParallelenAll das ruft Erinnerungen an die deutsch-britische Rivalität in den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs wach. Damals machte das wirtschaftlich und damit militärisch erstarkende Deutsche Reich Großbritannien die Vorherrschaft auf den Weltmeeren streitig. Das verhinderte zwar nicht, dass die zwei Großmächte wirtschaftlich eng miteinander verflochten waren, ähnlich wie das heute auch für die USA und China der Fall ist. Gleichzeitig lieferten sich die zwei europäischen Nationen aber ein Wettrüsten und bauten ihre außenpolitische Stellung durch das Schaffen von Allianzen aus.Die Planungsstäbe der beiden Armeen machten damals die ihnen zugedachte Arbeit und bereiteten sich auf den Ernstfall vor. Es brauchte 1914 dann nur einen Zwischenfall in einer entfernten Provinz Österreich-Ungarns, um daraus in einer nicht mehr aufhaltbaren Kettenreaktion einen Kriegsgrund zu machen. Das heißt nicht, dass sich in Fernost jetzt die Geschichte wiederholen muss. Die beiden Atommächte wissen, dass der Schaden einer bewaffneten Auseinandersetzung für sie und darüber hinaus die Welt fatale Folge haben würden.China weiß auch, dass seine Streitkräfte wehrtechnisch und ausbildungsmäßig denen der USA weit unterlegen sind, wie das Präsident Xi Jinping Ende Mai seinen vielleicht zu übermütigen Offizieren in Erinnerung gerufen hat. Aber Armeen führen auch ihr Eigenleben. Gerade im Falle Chinas war es unter Xis Vorgänger Hu Jintao unklar, ob die zivile Führung die volle Kontrolle über die Streitkräfte hatte. Die Lage in der Südchinesischen See ist nicht zuletzt deshalb so zerfahren, weil die chinesische Marine vor einigen Jahren auf Streitigkeiten um Fischgründe mit voller Härte reagiert hatte. Gesichtsverlust drohtDamit wurde es auch unmöglich, dass ein innenpolitisch wenig einflussreiches chinesisches Außenministerium die Situation vor der Eskalation zu ihrer jetzigen Gefährlichkeit diskret auf diplomatischem Weg entschärften konnte. Das war umso fataler, stellten sich die Philippinen nur allzu gerne unter den militärischen Schirm der USA. Ein einseitiges Nachgeben Chinas in der Territorialfrage zu diesem Zeitpunkt käme einem für die oberste Führung innenpolitisch gefährlichen Gesichtsverlust gleich. Erhöhte NervositätChina hat sich mit all dem in eine schwierigen Lage manövriert. Gleichzeitig bauen die USA in Fernost ihre Stellung aus, wie das der Besuch Obamas Ende Mai in Vietnam und Japan gezeigt hat. Peking wird das aber kaum zum Anlass nehmen, seine ehrgeizigen strategischen Ambitionen zurückzustecken. Im Gegenteil: das Reich der Mitte dürfte als Antwort auf die verstärkte Präsenz der USA in der Region jetzt sein Aufrüstungsprogramm noch schneller vorantreiben.Das wiederum dürfte bei den militärischen Planungsstäben im Pentagon für erhöhte Nervosität sorgen. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass die USA einen in den Augen vieler Falken über kurz oder lang nicht vermeidbaren bewaffneten Konflikt mit China vor dem Zeitpunkt ausfechten wird, an dem der Gegner in vielleicht 15 oder 20 Jahren militärisch auf selber Augenhöhe steht. All das ist vorderhand nur ein vages Zukunftsszenario. Doch wenn das Problem in der Südchinesischen See nicht bald auf diplomatischem Weg gelöst wird, könnte das fatale Folgen haben.