NOTIERT IN MOSKAU

Putin hilft nun auch denen, die er für Gauner hält

Am Montag hat der russische Präsident Wladimir Putin die letzte Etappe im Kampf gegen das Coronavirus angekündigt. Gestern endete der gesamtrussische Sonderurlaub, den er am 28. März für alle Wirtschaftssektoren verordnet hatte. Seltsamerweise wurde...

Putin hilft nun auch denen, die er für Gauner hält

Am Montag hat der russische Präsident Wladimir Putin die letzte Etappe im Kampf gegen das Coronavirus angekündigt. Gestern endete der gesamtrussische Sonderurlaub, den er am 28. März für alle Wirtschaftssektoren verordnet hatte. Seltsamerweise wurde die sukzessive Wiederaufnahme der Arbeit zu einer Zeit verfügt, als die Infektionszahlen rasant stiegen. So wurden am Dienstag weitere 10 899 Ansteckungsfälle gemeldet, womit die Gesamtzahl auf 232 243 Fälle stieg. Damit rangiert Russland nun weltweit auf Rang 2 hinter den USA.Als Erfolg kann Russland auf die relativ niedrige Zahl der virusbedingten Todesfälle verweisen. Offiziell wird dies auf die ausreichende Vorbereitung zurückgeführt, die in Russland deshalb möglich gewesen sei, da das Virus sich verhältnismäßig spät zu verbreiten begonnen habe. Ganz geglaubt wird der offiziellen Statistik im Land allerdings nicht. Man war im Laufe der Jahre schon in weniger heiklen Dingen bei der Zählung kreativ.Heikel ist die aktuelle Situation jedenfalls. Davon zeugt schon die Tatsache, dass Putin noch nie so häufig mit der Bevölkerung in Kontakt getreten ist wie jetzt. Die TV-Ansprache von Montag war bereits die sechste binnen eineinhalb Monaten. Glaubwürdig zu beteuern, dass er alles im Griff hat, wird in Zeiten, wo immer mehr Menschen in ihrem Umkreis Bekannte haben, die infiziert sind, immer schwieriger. Nicht zufällig hat er die Verantwortung über das Ausmaß der jetzigen Lockerungen den Gouverneuren in den Regionen übertragen.Das sonst vom Kreml immer propagierte Paradigma von der Insel der Seligen in einer Welt in Aufruhr funktioniert derzeit nicht so recht. Man ist doch mehr Teil der Welt, als man das sonst darstellt. Immerhin steht man momentan nicht am Pranger, der Urheber allen Übels zu sein, wie das über viele Jahre so gern in einem Wechselspiel zwischen Moskau und dem Rest des Erdenrunds außerhalb von China durchexerziert wurde. Ausgerechnet China hat derzeit Russland diesen Rang abgelaufen, indem Peking in der Frage seines Umgangs mit Informationen über den Ausbruch der Epidemie herumlaviert. Russland beteiligt sich an der Beschuldigung Chinas übrigens nicht, denn erstens will man aus ängstlichem Respekt vor dem großen Nachbarn keine Verstimmung riskieren. Zweitens hat China den Russen in all ihren Verwerfungen mit dem Westen seit Putins Amtsantritt vor 20 Jahren immer die Stange gehalten.Aber zurück zu Russlands Strategie im Kampf gegen das Virus bzw. die wirtschaftlichen Folgen. Am Montag hat Putin sein drittes Krisenbekämpfungsprogramm vorgestellt. Und dieses ist insofern bemerkenswert, als damit nun die Klein- und Mittelbetriebe, aber auch die Einpersonenunternehmen endlich stärker zum Zug kommen. Sofern sie als Leidtragende der Krise eingestuft sind, werden sie von Steuerzahlungen und Sozialversicherungsbeiträgen befreit. Außerdem gibt es kräftige Kreditsubventionen. Gewiss, der Teufel liegt im Detail. Denn der Großteil der Klein- und Mittelbetriebe sei aufgrund der Kriterien ganz einfach nicht in die Liste der in Mitleidenschaft gezogenen Unternehmen aufgenommen worden, obwohl sie alle ihre Tätigkeit hätten einstellen müssen, wie Unternehmervertreter beteuern. Es werde nachgerüstet, heißt es seitens der Regierung.Was als Detailproblem erscheint, ist in Wirklichkeit ein zentrales. Denn über all die Jahre hat Putin zu verstehen gegeben, dass er in erster Linie an den Staatssektor und damit an die großen staatlichen Holdings als Träger der Wirtschaft glaubt. Bezeichnend ist, dass er in einem Interview im März erklärt hat, “es gibt bestimmte Gründe”, Privatunternehmer für “Gauner” zu halten. Dabei verwies er darauf, dass das Volk so denke.Nun, die Psyche dringt aus allen Poren, sagte schon Sigmund Freud. Es stimmt zwar, dass das geschichtlich relativ junge Unternehmertum nicht den leichtesten Stand in Russland hat. Aber die Haltung der Russen dazu wurde im Laufe der Jahre immer positiver. Im November 2019 erklärten in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Lewada-Center 80 % der Befragten, dass Klein- und Mittelbetriebe dem Land Nutzen bringen (bezüglich Großbetrieben waren es 58 %). Das war die höchste Zustimmung in den 16 Jahren, in denen diese Umfragen durchgeführt wurden.