Pyrrhussieg der Proeuropäer

Abstimmungsniederlage Theresa Mays im Unterhaus sorgt für noch mehr Streit in der Regierungspartei

Pyrrhussieg der Proeuropäer

Von Andreas Hippin, LondonDie britische Premierministerin Theresa May hat sich von ihrer Abstimmungsniederlage im Unterhaus nicht beeindrucken lassen. “Ich bin von der Änderung enttäuscht, das EU-Austrittsgesetz macht jedoch auf dem Weg durchs Unterhaus gute Fortschritte, und wir sind auf Kurs, den Brexit umzusetzen”, sagte sie gestern bei ihrer Ankunft zum EU-Gipfel in Brüssel. Die Regierung habe 35 von 36 Abstimmungen dazu gewonnen. Im Schnitt habe ihre Mehrheit bei 22 Stimmen gelegen.Am Mittwoch hatte der ehemalige Generalstaatsanwalt Dominic Grieve mit der Unterstützung weiterer EU-freundlicher Tories wie Kenneth Clarke und Anna Soubry und den Stimmen der Opposition einen Änderungsantrag durchgesetzt, der dem Parlament ein Mitspracherecht gibt, wenn es um den Austrittsvertrag geht. Wichtiger als die Änderung des Gesetzestexts, an dem im weiteren Verlauf der Debatte mit Sicherheit noch gefeilt werden dürfte, ist der symbolische Wert der Niederlage Mays. Offenbar hat die Regierungschefin nicht einmal ihre eigenen Abgeordneten im Griff. Angesichts der hauchdünnen Mehrheit, auf die ihre konservative Partei nur noch mit Hilfe der nordirischen Unionisten von der Democratic Unionist Party (DUP) kommt, ist das für ihre Brüsseler Verhandlungspartner alles andere als vertrauenerweckend. Labour-Chef Jeremy Corbyn sprach von einem “beschämenden Autoritätsverlust” für die Premierministerin. Allerdings gibt es in anderen EU-Mitgliedstaaten ebenfalls Minderheitsregierungen. Dort wird man eher geneigt sein, über die Niederlage hinwegzusehen. Mays Image ist mittlerweile nachhaltig beschädigt.Der Sieg der Proeuropäer, den einige von ihnen im Anschluss an die Abstimmung in einer Bar des Parlaments feierten, ist teuer erkauft. Der Streit zwischen Euroskeptikern und Europhilen innerhalb der Regierungspartei, den David Cameron durch das EU-Referendum zu beenden suchte, hat dadurch nur noch an Schärfe gewonnen. May hatte zudem stets bekundet, dem Parlament in dieser Sache das letzte Wort geben zu wollen. Es wurde also zu hohen Kosten wenig erreicht. Fiktiver ZeitdruckDie große Angst der EU-freundlichen britischen Parlamentarier jeglicher Couleur bestand darin, dass ihnen in letzter Minute ein Deal unterbreitet würde, über den sie dann abstimmen müssen, ohne ihn vorher ordentlich geprüft zu haben. Den immer wieder postulierten Zeitdruck gibt es in Wirklichkeit aber nicht. Man darf zwar davon ausgehen, dass man sich in den Brexit-Verhandlungen, wie in nahezu allen wichtigen europäischen Verhandlungsrunden, erst auf den letzten Drücker einigen wird. Die Abgeordneten hätten dann aber immer noch ausreichend Zeit, sich den Deal in allen Einzelheiten anzusehen, weil er ja erst noch von den Parlamenten der 27 verbleibenden Mitgliedsländer und dem Europaparlament abgesegnet werden müsste – eine Prozedur, für die man gut drei Monate ansetzen kann, in denen alles wie gehabt weiterlaufen würde. Denn auf einen im gegenseitigen Einvernehmen beliebig verlängerbaren Übergangszeitraum wird man sich bis dahin wohl längst geeinigt haben, um Schaden von allen Beteiligten abzuwenden. Die britischen Abgeordneten werden den Deal, auf den sich die Verhandlungsführer geeinigt haben, ohnehin nicht wieder aufschnüren können. Daran dürfte auch die von Grieve erkämpfte Änderung des Austrittsgesetzes nichts ändern. Denn dafür hätte selbst ein geduldiger EU-Verhandlungsführer keine Zeit.—– Personen Seite 16