LEITARTIKEL

QE forever

Die Bank of England hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Gouverneur Mark Carney gefällt sich als Mahner in Sachen Klimawandel oder als Kunstexperte wie am gestrigen Abend in Oxford. Dabei hätte er mit seinen eigentlichen Aufgaben genug zu tun. Denn auch...

QE forever

Die Bank of England hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Gouverneur Mark Carney gefällt sich als Mahner in Sachen Klimawandel oder als Kunstexperte wie am gestrigen Abend in Oxford. Dabei hätte er mit seinen eigentlichen Aufgaben genug zu tun. Denn auch sieben Jahre nach Beginn der Finanzkrise zeichnet sich kein Ausstieg aus den damals eingeleiteten geldpolitischen Notstandsmaßnahmen ab. Carneys Konzept der “Forward Guidance”, das für mehr Transparenz in der Geldpolitik sorgen sollte, ist gescheitert. Klar ist nur, dass derzeit niemand an steigenden Kreditkosten Interesse hat. Je länger die Zinsen künstlich niedrig gehalten werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es eines Tages zu einem überraschend kräftigen Schritt nach oben kommt.Der Zins der Old Lady of Threadneedle Street fiel 2009 erstmals seit 1694 unter 2 %. Seit sechs Jahren verharrt er auf dem historischen Tief von 0,5 %. Am Markt wird damit gerechnet, dass es zumindest bis ins zweite Quartal 2016 dabei bleiben wird. Der zur Ankurbelung der Konjunktur zusammengekaufte Anleihenbestand dürfte noch länger unverändert beibehalten werden als der Leitzins – QE forever!Nach seinem Amtsantritt hatte der als Heilsbringer willkommen geheißene Kanadier im Sommer 2013 angekündigt, die Zentralbank werde erst über eine Anhebung ihres Zinssatzes nachdenken, wenn die Erwerbslosenquote in Großbritannien auf 7 % gesunken sei. Dieses Ziel schien weit genug entfernt, um Unternehmen wie private Haushalte zur Kreditaufnahme, zu Investitionen und zum Konsum zu animieren. Der rasante Beschäftigungsaufbau in den folgenden Monaten kam offenbar völlig überraschend für die Ökonomen der Zentralbank. Die Forward Guidance musste dringend angepasst werden, denn schließlich hatte niemand ernsthaft vor, die Zinsen zu erhöhen.Statt der Arbeitslosigkeit rückte Carney die Differenz zwischen Bruttoinlandsprodukt und Produktionspotenzial ins Blickfeld – ein wunderbar wolkiges Konstrukt. Um den Zustand der britischen Wirtschaft zu bestimmen, werden seitdem zahllose Indikatoren ausgewertet, was es für Außenstehende nahezu unmöglich macht, auf den Stand der Diskussionen innerhalb des Instituts zu schließen. Die “Output Gap” genannte Lücke wurde im Februar vergangenen Jahres erstmals beziffert. Seitdem ist sie offenbar schnell geschrumpft und soll im kommenden Jahr geschlossen sein. Und damit war es im Frühjahr an der Zeit, einem neuen Faktor existenzielle Bedeutung zu verleihen: der Lohnentwicklung. Aber auch bei den Gehältern und Löhnen überholt die Konjunkturentwicklung die Erwartungen der Volkswirte. Deshalb wird mittlerweile alles als Argument für den Status quo herangezogen, was das Wirtschaftswachstum dämpfen könnte, ob es sich nun um die Stärke der einheimischen Währung gegen Dollar und Euro handelt oder um den Kursrutsch an den chinesischen Aktienmärkten im Sommer.Die britische Finanzbranche hat sich an den Steroidkonsum gewöhnt. Schon bei einem Zinsschritt von 25 Basispunkten würden zahlreiche Hausbesitzer, die ihr Eigenheim auf Kante finanziert haben, unter Wasser geraten. Das würde sich unmittelbar in den Bankbilanzen niederschlagen. Der einsetzende Aufschwung ermöglichte den Instituten zuletzt, Zuschreibungen statt Wertberichtigungen vorzunehmen. Der Buchwert von Immobilien steigt und steigt. Aus Abwicklungssparten werden plötzlich Profit Center. London zieht im globalen Finanzplatz-Ranking an New York vorbei.Carney will nicht als der Notenbanker in die Geschichte eingehen, der diese Party beendet hat. Er lässt seiner US-Kollegin Janet Yellen den Vortritt. Im Vergleich zum ehemaligen EZB-Chef Jean-Claude Trichet oder dem für seine widersprüchlichen Ansagen berüchtigten Alan Greenspan war es noch nie so einfach, die Motive der führenden Geldpolitiker zu verstehen. Natürlich führt die Geldschwemme zu unerwünschten Spekulationsblasen – etwa am Immobilienmarkt. Aber der durch Verbraucherkredite finanzierte Boom gehört zu Großbritannien wie Fish & Chips und warmes Bier. Wichtig ist nur, möglichst nicht mehr im Amt zu sein, wenn die Zinsen steigen, und dafür zu sorgen, dass Liquiditätsrisiken bis dahin so weit wie möglich bei den privaten Haushalten abgeladen worden sind. Der Wahlsieg von Justin Trudeau in Kanada hat Carney den Weg in die große Politik versperrt. Die kanadischen Liberalen brauchen gerade keinen neuen Anführer. Und die Zinsen bleiben noch eine ganze Weile niedrig.——–Von Andreas HippinDer erste Zinsschritt der Bank of England rückt immer weiter in die Ferne. Keiner will der Party am Finanzplatz London ein Ende bereiten, schon gar nicht Mark Carney.——-