Rajans letzter Akt
Der scheidende Notenbankgouverneur Indiens, Raghuram Rajan, wird im Hinblick auf die Konjunktur und das Inflationsziel der Bank of India ein weitgehend gut bestelltes Haus übergeben. Für seine Nachfolge sind vier Namen im Gespräch.Von Ernst Herb, HongkongDas Wetter meint es gut mit Raghuram Rajan. Nach einer längeren Phase unterdurchschnittlicher Niederschläge hat der sommerliche Monsun nun der drittgrößten asiatischen Volkswirtschaft reichliche Regenfälle beschert. Weniger als einen Monat vor dem Abgang des Gouverneurs der indischen Notenbank hat sich damit auch die Lage an der Inflationsfront etwas entspannt. Doch hat das geldpolitische Komitee der Reserve Bank of India (RBI) bei seiner jüngsten regulären vierteljährlichen geldpolitischen Sitzung den Leitzins mit Verweis auf die “weiter bestehenden Inflationsrisiken” unverändert bei 6,5 % belassen.Nachdem die Zunahmeraten der Konsumentenpreise im Juni mit 5,8 % auf den höchsten Stand seit fast zwei Jahren gestiegen sind, ist das von Rajan für kommenden März angepeilte Teuerungsziel von 5 % vor allem wegen der sich dank saisonaler Einflüsse moderierenden Lebensmittelpreise erneut in Reichweite gerückt. Gleichzeitig legt Indien mit wahrscheinlich 7,5 % im laufenden Jahr das höchste Wachstum der großen Volkswirtschaften der Welt an den Tag. Druck von der RegierungDiese Kombination ist umso wichtiger, wurde der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF) von einflussreichen Mitgliedern der regierenden Bharatiya Janata Partei (BJP) doch immer wieder wegen seiner angeblich wachstumshemmenden restriktiven Geldpolitik kritisiert. Nach Rajans wahrscheinlich letztem großen Auftritt in dieser Woche als Notenbankgouverneur rückt jetzt vermehrt die Nachfolgefrage in das Zentrum des öffentlichen Interesses.In den indischen Medien werden dabei die Namen von vier renommierten Ökonomen herumgereicht. Dabei wird der 52-jährige Urjit Patel, einer der bisherigen vier stellvertretenden RBI-Gouverneure, immer wieder als der am besten qualifizierte Kandidat genannt. “Er ist der führende Kandidat für das Amt des RBI-Chefs”, schrieb kürzlich die führende Tageszeitung “Times of India”. Patel war Vorsitzender eines geldpolitischen Komitees, das Anfang 2015 erstmals ein festes Inflationsziel einführte.Gleichzeitig achtet die RBI, anders als zuvor, nicht mehr in erster Linie auf den Großhandels-, sondern den Einzelhandelspreis. Das war ein umso gewagterer Schritt, bleibt Indien mit seinen Hunderten Millionen armen Bürgern doch weiter stark den volatilen Lebensmittelpreisen ausgesetzt. Die schlussendlich auch vom Parlament verabschiedete Neuerung gilt als einer der größten Reformschritte, den Indien seit der 1991 erfolgten Öffnung der Wirtschaft gemacht hat.Allerdings hängt Patel der Ruf an, ein geldpolitischer Falke zu sein. Nachdem er Anfang des Jahres von der Regierung für eine zweite dreijährige Amtszeit als stellvertretender Gouverneur bestätigt worden war, bleibt er innerhalb der RBI für die Offenmarktoperationen zuständig. Hier hat er sich allerdings durch eine erhebliche Zurückhaltung ausgezeichnet. Obwohl die RBI den Leitzins seit Anfang des Vorjahres 150 Basispunkte gesenkt hat, wurde Patel von Banken für die angespannte Liquiditätslage und damit auch das langsame Kreditwachstum verantwortlich gemacht.Ein anderer aussichtsreicher Kandidat an der Spitze der RBI ist der 68-jährige Rakesh Mohan. Dem ehemaligen hohen Beamten des Finanzministeriums und Mitarbeiter des IWF wird nachgesagt, er messe einer hohen Wachstumsrate größeren Wert zu als der Preisstabilität. Seine Ernennung würde mit großer Wahrscheinlichkeit von der Börse mit starken Kursgewinnen applaudiert werden.Gute Aussichten auf den Posten hat angeblich auch die 60-jährige Arundhati Bhattacharya, die bis Ende 2015 Verwaltungsratspräsidentin des größten indischen Finanzinstituts, der State Bank of India, war. Für sie spricht, dass sie den von einer großen Last von Problemkrediten geplagten Bankensektor gut kennt. Die RBI ist auch oberste Bankenaufseherin und muss in den kommenden Jahren dessen Sanierung vorantreiben.Ebenfalls als möglicher Kandidat erwähnt wird immer auch der 56-jährige Subir Gokarn, der bereits stellvertretender RBI-Gouverneur war und gegenwärtig Indien im Exekutivrat des IWF vertritt. Unter ihm würde die RBI wohl einen geldpolitischen Mittelkurs fahren. Weniger MachtBei all dem ist allerdings zu berücksichtigen, dass der nächste RBI-Gouverneur über deutlich weniger Macht verfügen wird als seine Vorgänger. Die Regierung hat Anfang dieses Jahres im Rahmen einer Zentralbankreform die Einzelverantwortung über Zinsentscheide aus den Händen des Gouverneurs auf ein sechsköpfiges Komitee übertragen. Drei der Komiteemitglieder werden nicht der RBI angehören, sondern von der Regierung entsandt werden.Der Gouverneur kann als eines der sechs Mitglieder im Falle einer Pattsituation allenfalls das entscheidende Votum abgeben. Wohl mit Hinsicht auf eine weniger von der Regierung abhängige Notenbank hat der bald abtretende Rajan am Dienstag vor den Medien eindrücklich darauf verwiesen, dass Strukturreformen für ein nachhaltiges Wachstum so oder so wichtiger seien als die Geldpolitik.