Rating in Zeiten tektonischer Verschiebungen

Die Bonitätsprüfer von Moody's und Fitch stellen sich auf negative Überraschungen im politischen Sektor ein

Rating in Zeiten tektonischer Verschiebungen

Von Stephan Lorz, FrankfurtDie Ausgangslage für die Industrieländer ist eigentlich vielversprechend: Das Wachstum bleibt recht kräftig, und der Druck auf die Staatsfinanzen hat leicht nachgelassen wegen des günstigen Zinsumfelds, das obendrein auch noch die Investitionsschwellen für die Unternehmen senkt. Die Ratingagenturen zeigen sich denn auch zum Jahresanfang durchaus positiv gestimmt, was die Kreditwürdigkeit der Staaten angeht. Gerade in Europa hat sich die Bonitätslage etwas entspannt.Sorgen bereiten indes die vielen Unsicherheiten, die noch Überraschungen für 2017 bereithalten können: Die Brexit-Verhandlungen und die Agenda des neuen US-Präsidenten Donald Trump konkretisieren sich. Das könnte ökonomische Gewissheiten und Konzepte über den Haufen werfen. Auch die anstehenden Wahlen in Europa dürften angesichts populistischer und nationalistischer Tendenzen das Spielfeld aufmischen. Kein Wunder, dass die Bonitätswächter ihren optimistischen Grundton zwar beibehalten, in ihren Prognosen aber betont zurückhaltend sind und vor negativer Stimmungsmache warnen.Dietmar Hornung, bei der Ratingagentur Moody’s mitzuständig für das Staatenrating, hält vorschnelle Urteile schon deshalb für fehl am Platz, weil politische Veränderungen stets Zeit benötigen, um sich auf die Bonität niederzuschlagen. Der länger zurückliegende Politikwechsel in Polen habe bislang zu keinen diesbezüglichen Änderungen geführt, sagt er auf der Moody’s-Kreditkonferenz dieser Tage. Das könnte in Frankreich im Falle eines Wahlsiegs des nationalistischen Front National (FN) unter Marine Le Pen anders sein, doch müsse Le Pen in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen erst einmal konkrete Chancen auf einen Wahlsieg haben. Dann werde Moody’s auch ein “Rating Assessment” veröffentlichen. Ein harter protektionistischer Kurs durch US-Präsident Trump wäre zwar durchaus eine enorme Herausforderung für die deutsche Exportwirtschaft, “die Entwicklung müsste aber schon sehr dramatisch sein, um Rückwirkungen auf das Rating Deutschlands zu haben”, sagte er.Erst längerfristig würden politische Entwicklungen auf die Staatsfinanzen durchschlagen, wenn dies etwa mit einer Destabilisierung der Eurozone und der EU einhergehe. Hornung erwartet insofern “keine unmittelbare Rückkehr der Euro-Krise”, womöglich aber drohe ihr ein “langsamer Tod”, weil die Meinungsunterschiede im Währungsgebiet immer stärker hervorträten. Ohnehin werde der Freihandel durch Trump in die Ecke gedrängt, kämen nationale Motive mehr zum Vorschein, und die Globalisierung werde immer kritischer gesehen. Weniger problematisch ist unter Bonitätsaspekten in seinen Augen da der bevorstehende Zinsanstieg. Viele Staaten hätten sich das niedrige Zinsniveau gesichert. Es brauche nun einmal seine Zeit, damit sich steigende Zinsen auf die Finanzierungslast auswirkten.Die Ratingagentur Fitch lenkt die Aufmerksamkeit auf einen anderen Sachverhalt: Die herausfordernde politische Lage, die niedrigen Zinsen und die Neubewertung fiskalischer Stimuli nicht zuletzt durch den Kurs des neuen US-Präsidenten würden auch die europäischen Länder zu verstärkter Kreditfinanzierung verführen, um Wirtschaftsimpulse zu setzen. Dabei seien die meisten noch hoch verschuldet und hätten die günstigeren Umstände bislang kaum für eine Konsolidierung genutzt.Ed Parker, Chefvolkswirt von Fitch, geht davon aus, dass allein die angekündigten Steuersenkungen in den USA auf zehn Jahre betrachtet 33 % des aktuellen Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmachen. Bleiben dann die Multiplikatoreffekte in der Privatwirtschaft aus, weil die Unternehmen in unsicheren Zeiten ungern investieren, könnte die US-Staatsverschuldung, die bereits jetzt über 100 % des BIP liegt, “auf italienisches Niveau” steigen, sagte er auf der Fitch Credit Conference.Weiter steigende Verschuldungsquoten in Europa dürften obendrein die politischen Differenzen etwa über die Budgetdisziplin verstärken, was populistische und nationalistische Kräfte ausnutzen würden, um gegen die EU und die Eurozone Stimmung zu machen und um sich gegen Berlin in Stellung zu bringen. Europäische ZerwürfnisseOhne solche negative Grundstimmung und Zerwürfnisse fiele es den etablierten politischen Kräften sicher leichter, sich populistischer und nationalistischer Anwürfe zu erwehren. Fitch-Chefvolkswirt Parker sieht in diesem Zusammenhang auch eine gewisse Mitverantwortung der Ökonomen, weil sie zu spät auf die Verteilungswirkungen etwa der Globalisierung geschaut und die gesellschaftlichen Wechselwirkungen zu wenig betrachtet hätten. Die Frage sei jetzt allerdings, wer die Folgen von Nationalismus, Protektionismus und dem neuen aggressiven außenwirtschaftlichen Kurs, wie er sich in den USA herauskristallisiere, tatsächlich tragen werde.