INTERVIEW: DIETMAR HORNUNG, MOODY'S

Ratingagentur warnt vor Reformverschleppung

Europa-Teamchef: "Der Druck auf die Politik hat sich verringert" - Kaum Fortschritte bei der Etablierung der Bankenunion - Lage in Frankreich verdüstert sich

Ratingagentur warnt vor Reformverschleppung

Die Ratingagentur Moody’s hält das OMT-Anleihekaufprogramm der EZB zwar für einen wichtigen Schritt zur Beruhigung der Märkte, allerdings seien damit die Handlungsanreize der Politik verringert worden. Erste Anzeichen einer Reformverschleppung seien bereits sichtbar. Die Bonitätsausblicke bleiben deshalb für einen Großteil der Eurostaaten “negativ”, warnt der Teamleiter für Bonitätseinstufungen in Europa Dietmar Hornung.- Herr Hornung, die Euro-Krise kocht im Vergleich zum Sommer vor einem Jahr auf deutlich kleinerer Flamme vor sich hin. Viele Beobachter hoffen auf eine weitere Besserung der Lage. Werden wir nach der Kaskade an Bonitätsherabstufungen in den vergangenen Zeit nun schon bald eine Heraufstufungswelle registrieren können?Die Schuldenkrise im Euroraum ist noch nicht vorüber. Die Investoren sind zwar wieder bereit, in Schuldtitel peripherer Staaten zu investieren; das Marktvertrauen ist jedoch nach wie vor anfällig für Schocks, da sich an der fundamentalen Situation, welche die Krise ausgelöst hat, bislang nur wenig geändert hat. Das Wirtschaftswachstum ist noch immer schwach und unausgewogen, die Fortschritte bei der Umkehrung der Schuldenentwicklung sind nach wie vor langsam, und es ist in vielen Ländern auch nur in begrenztem Umfang zu institutionellen Reformen gekommen. Aus diesem Grund bleiben unsere Ratingausblicke für den Großteil der Staaten des Euroraums negativ.- Was heißt das konkret im Hinblick auf die Bonitätsentwicklung?Wir gehen davon aus, dass die Ratingausblicke der meisten europäischen Länder erst dann wieder stabil sein werden, wenn die institutionellen Reformen weiter vorangetrieben worden sind und das Wachstum auf breiterer Front zurückgekehrt ist.- Wo liegen in der gegenwärtigen Phase noch die größten Risiken für die Eurozone?Ein wesentliches Risiko ist die Gefahr, dass sich angesichts der günstigen Marktentwicklung Nachlässigkeit breitmacht. Der Druck auf die politischen Entscheidungsträger hat sich verringert, was man beispielsweise an dem nur langsamen Fortschritt in Richtung Bankenunion sieht. Ursprünglich war vorgesehen, dass der ESM Banken direkt unterstützen kann – was nunmehr erst für die Zukunft diskutiert wird.- Wie würde sich die Etablierung einer Bankenunion auf die Eurozone auswirken?Eine umfängliche Bankenunion – mit der Möglichkeit der Rekapitalisierung von Banken – würde die Bindungen zwischen Banken und Staaten lockern und damit der Fragmentierung des Euroraums entgegenwirken. Diese Fragmentierung hat zu einer Divergenz der Finanzierungskonditionen geführt – Unternehmen gleicher Bonität finanzieren sich in Deutschland deutlich günstiger als beispielsweise in Italien. Im aktuellen, von Wachstumsschwäche geprägten Umfeld erhöht der langsame institutionelle Fortschritt das Risiko für die Bonität der Staaten, insbesondere in der Peripherie.- Wie stabil ist eigentlich noch die Bonität Frankreichs vor dem Hintergrund seiner mangelnden Reformbereitschaft? Ihre Kollegen von Standard & Poor’s haben dem Land unlängst eine entsprechende Warnung zukommen lassen.Moody’s hat Frankreich im November 2012 von “Aaa” auf “Aa1” herabgestuft. Das “Aa1”-Rating hat einen negativen Ausblick. Neben dem schwachen makroökonomischen Umfeld und den Eventualverbindlichkeiten aufgrund der Unterstützungsmaßnahmen innerhalb des Euroraums äußert sich in dem negativen Ausblick unsere Auffassung, dass die Risiken für die Haushaltskonsolidierung und die Umsetzung weiterer struktureller Reformen erheblich sind. Nach einer deutlichen Zurücknahme der Wachstumsprognosen auf 0,1 % für 2013 und 1,2 % für 2014 rechnet die Regierung nun mit Haushaltsdefiziten von 3,7 % im Jahr 2013 und 2,9 % im Jahr 2014. Dies bedeutet, dass Frankreich sein anfängliches Ziel verfehlen wird, die Dreiprozentmarke im Jahr 2013 zu erreichen. Die strukturellen Probleme auf dem Arbeitsmarkt zeigen sich in einem Anstieg der Arbeitslosenquote auf nun 11 %, dem höchsten Wert seit Dezember 1997.- Viele der von den Ratingagenturen für die Bonitätsbeurteilung angeführten Risiken sind politischer Natur und entziehen sich daher einer unstrittigen Bewertung. Wie aussagekräftig sind die Urteile der Agenturen vor diesem Hintergrund?Die Bereitschaft eines Landes zu Haushaltskonsolidierung und Strukturreformen ist eine wichtige Determinante für seine Bonität. Bei Ländern mit starken Institutionen haben wir die Erwartung, dass die strukturellen Herausforderungen durch Reformen angegangen werden. Die Staaten unterscheiden sich jedoch in ihrer Fähigkeit, solche Reformen tatsächlich zu unternehmen – was sich in der Vergangenheit auch im europäischen Kontext eindrücklich gezeigt hat.- Wie groß ist der Einfluss der EZB-Geldpolitik auf die Ratingurteile? Denn eine eher lockerere Geldpolitik verhilft manchen Krisenländern zu einem etwas größeren Spielraum, gleichzeitig werden langfristig Risiken aufgebaut.Die Ankündigung des OMT-Programms hat die Liquiditätsrisiken für die großen Peripherieländer Italien und Spanien gemindert. Gleichzeitig wird durch die Bereitschaft der EZB, im Bedarfsfall Liquidität zur Verfügung zu stellen, allerdings auch der Reformdruck gemindert, die grundlegenden Herausforderungen des Euroraums anzugehen – die Defizite bei der Wettbewerbsfähigkeit, die Leistungsbilanzungleichgewichte, der hohe Schuldenstand und die Unterkapitalisierung von Bankensystemen. Diese Probleme begünstigen die Wachstumsdivergenz, die wir aktuell im Euroraum beobachten. Das OMT-Programm der EZB verschafft Zeit, um sich dieser Probleme anzunehmen. Mit Blick auf die Niedrigzinspolitik der EZB besteht die Schwierigkeit, dass ihr stimulierender Effekt in den Peripherieländern durch die erheblichen Spreads beeinträchtigt ist.- In der EU tobt der Kampf zwischen Austeritätsgegnern und Konsolidierungsbefürwortern. Die einen sehen in der Sparpolitik einen Grund für die Verschärfung der Krise, die anderen halten sie eher für eine schmerzhafte Medizin, die längerfristig für stabiles Wachstum sorgt. Welchen Einfluss auf die Bonitätsbewertung haben solche Grundhaltungen?Entscheidend für die Bonität eines Staates ist letztlich, ob er in der Lage ist, seine Schulden zu bedienen – und das hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Der Schuldenstand und die Fähigkeit, dessen unkontrolliertes Ansteigen zu verhindern, gehören dazu. Ein weiterer Faktor ist die Wirtschaftskraft eines Landes – Wirtschaftswachstum, Diversifizierung und Einkommensniveau spielen eine Rolle. Hierbei sei angemerkt, dass die Entwicklung des Schuldenstands relativ zum BIP nicht nur vom Primärhaushaltssaldo abhängt, sondern auch vom wirtschaftlichen Wachstum und den Finanzierungskosten des Staates. Insofern lassen sich bei geringem Wirtschaftswachstum die finanzpolitischen Ziele nur schwer erreichen, was derzeit in den europäischen Peripherieländern besonders augenscheinlich wird.- Einer Studie der Universität St. Gallen zufolge, sind ungerechtfertigte Herabstufungen der Ratingagenturen eine Ursache für die Verschärfung der Euro-Krise gewesen. Haben die Ratingurteile die Eurokrise tatsächlich verstärkt?Die von Moody’s erteilten Ratings für Staaten haben sich in der Vergangenheit stets als zuverlässige Prognosengeber für Zahlungsausfälle erwiesen, die den für die Bonität maßgeblichen Realitäten des jeweiligen Emittenten Rechnung tragen. Sie haben nicht zu einer Verschärfung der Krise beigetragen – die strukturellen und wirtschaftlichen Probleme, die hierfür letztlich die Ursache waren, sind hinlänglich dokumentiert. Unsere Ratings haben sich die gesamte Krise hindurch auch als stabiler erwiesen als anleihe- oder aktienmarktbasierte Bonitätsmessgrößen.—-Das Interview führte Stephan Lorz.