LEITARTIKEL

Ratingkummer à la Peking

Die Ratingagentur Moody's hat den Daumen gesenkt und erstmals seit fast 30 Jahren Chinas Länderbonität um eine Stelle nach unten korrigiert. In Peking herrscht eine gewisse Fassungslosigkeit. Auch zwei Wochen nach der eher überraschenden...

Ratingkummer à la Peking

Die Ratingagentur Moody’s hat den Daumen gesenkt und erstmals seit fast 30 Jahren Chinas Länderbonität um eine Stelle nach unten korrigiert. In Peking herrscht eine gewisse Fassungslosigkeit. Auch zwei Wochen nach der eher überraschenden Entscheidung ist das Buhkonzert in den chinesischen Staatsmedien noch nicht ganz abgeklungen. Es werden immer neue Gründe angeführt, warum die Ratingagentur Chinas Konjunktur- und Verschuldungssituation gänzlich missverstanden hat. Sogar die Investorenlegende Warren Buffett wird mit einem allerdings eher aus dem Kontext gerissenen Bonmot über Irrungen und Wirrungen von Ratingagenturen als ein Beweisführer für die nun erfahrene Ungerechtigkeit herangezogen.Warum aber reagiert Peking so empfindlich auf die Bonitätsabstufung, obwohl sie im internationalen Rund verhältnismäßig wenig Aufregung erzeugt hat? Peking scheint aus den Erfahrungen der letzten Jahre einige Lehren gezogen zu haben. Es gilt, eine neuerliche Stimmungswende zur Wahrnehmung Chinas wirtschaftlicher Geschicke schon im Keim zu ersticken. Chinas Wirtschaft steht trotz augenscheinlicher Stabilität immer wieder unter latentem Krisenverdacht. Die internationale Finanzgemeinde hat sich in den vergangenen zwei Jahren ausgiebig und händeringend damit beschäftigt, ob wahlweise eine verstärkte Konjunkturabkühlung, eine Talfahrt am Aktienmarkt, eine ungewohnte Abwertungsphase des Yuan, zeitweilig kräftige Kapitalabflüsse und schwindende Devisenreserven oder aber ein Handelskrieg mit den USA geeignet wären, das Ende des chinesischen Wirtschaftswunders auszurufen.Noch zum Jahreswechsel hatten Chinas Wirtschaftsplaner einen sehr bunten Sorgencocktail vorgefunden und befürchtet, dass er sich an den Märkten als explosives Gemisch erweisen könnte. Tatsächlich aber hat sich die Lage im ersten Quartal als äußerst entspannt dargestellt. Zum einen scheint die Gefahr einer monumentalen Handelskonfrontation mit den USA unter Präsident Donald Trump bis auf weiteres gebannt zu sein. Zum anderen hat eine günstige Konstellation an den Rohstoffmärkten in Verbindung mit anziehenden Erzeugerpreisen dafür gesorgt, dass Chinas Industrie aus einer Delle herausgefunden hat und unerwartete Schubkräfte entfalten konnte. Dies hat China erstmals seit Jahren wieder über zwei Quartale hinweg eine anziehende Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beschert. Und selbst die hartnäckige Kapitalabflussproblematik ist wieder in den Hintergrund getreten.Allerdings scheint die chinesische Regierung selber dem Frieden nicht recht zu trauen. Es gibt konkrete Anzeichen dafür, dass in der zweiten Jahreshälfte eine Wiederaufnahme des konjunkturellen Abkühlungstrends ansteht. Die Aktien- und Bondmärkte befinden sich seit dem Frühjahr in einem eher angespannten Zustand, der mit einem restriktiveren geldpolitischen Kurs und einer finanzregulatorischen Kampagne zur Bekämpfung von Finanzstabilitätsgefahren eng zusammenhängt. Es gibt latente Befürchtungen, dass China bald wieder als Sorgenkind in den internationalen Fokus rücken könnte.Vor diesem Hintergrund hat man Ruhe an der Währungsfront zum ersten Gebot gemacht. Die Erfahrung lehrt, dass Krisensymptome in asiatischen Schwellenländern mit währungsseitigen Spannungen und Abwertungsdruck beginnen. Peking scheint die Ratingankündigung als einen potenziellen Auslöser für Unruhe an den Devisenmärken und neuerliche Baissespekulationen auf den Yuan identifiziert zu haben. Sie wurde umgehend zum Anlass genommen, den zentralen Referenzkurs, um den die Währung im Handel um 2 % schwanken darf, praktisch mit Gewalt zu stärken. Auch hat die Zentralbank ihre Methode zur Ermittlung eines marktgerechten Mittelkurses um einen neuen “antizyklischen Anpassungsfaktor” erweitert, was ihr de facto mehr Freiraum gibt, einen Referenzkurs nach ihrem Gusto zu setzen. Damit wird die schleichende Annäherung an ein flexibleres Wechselkurssystem in gewisser Weise unterminiert, aber nach außen Stärke demonstriert.Eine stabile Wechselkursrelation nahe am gegenwärtigen Niveau von 6,80 Yuan je Dollar ist jetzt das neue Maß der Dinge. Moody’s kontroverse Ratingentscheidung ist kaum dazu geeignet, neue Erkenntnisse zu von Chinas Verschuldungsrelationen herrührenden Gefahren zu verbreiten. Sie erweist sich indirekt allerdings als äußerst aufschlussreich darüber, wie Peking mit den Gefahren eines Vertrauensentzugs an internationalen Märkten künftig umzugehen gedenkt.——–Von Norbert HellmannChina nimmt eine Ratingabstufung zum Anlass, den Wechselkurs des Yuan zu stärken. Stabile Währungsverhältnisse sollen nun als eine Art Bonitätsbeweis herhalten.——-