Realismus kehrt in Australien ein

Finanzielle Lage schwieriger als bekannt - Ende des Rohstoffbooms belastet

Realismus kehrt in Australien ein

ah Sydney – Die Australier werden in den nächsten Jahren den Gürtel enger schnallen müssen. Nach Jahren fast uneingeschränkten Wachstums befeuert durch den größten Rohstoffboom der Geschichte und den schier unersättlichen Hunger Chinas nach australischen Produkten hat die Regierung eingeräumt, dass jetzt gespart werden muss.Nur gut ein halbes Jahr nach dem letzten Haushalt der konservativen Regierung in Canberra musste der neue Schatzkanzler Scott Morrsion einräumen, dass es um die Staatsfinanzen noch wesentlich schlechter bestellt ist als zuvor angenommen. In einer Bestandsaufnahme zur Mitte des Finanzjahres 2015/16 prophezeit Morrison ein Defizit von 37,4 Mrd. austr. Dollar, 2,3 Mrd. mehr als noch im Mai vorhergesagt. Für die nächsten Jahre sieht es sogar noch düsterer aus. So werden 33,7 Mrd. neue Schulden für 2016/17 erwartet, 23,0 Mrd. für 2017/18 und immer noch 14,2 Mrd. für 2018/2019. Insgesamt sind dies 26 Mrd. austr. Dollar mehr als noch vor sechs Monaten angenommen. Erst in etwa fünf Jahren soll der Haushalt wieder schwarze Zahlen schreiben, allerdings auch nur dann, wenn die Zinsen die der Staat für die Schulden aufbringen muss, niedrig bleiben. Die traditionell hohen Wachstumsraten in Australien, das kurz vor seinem hundertsten Quartal ununterbrochenen Wachstums steht, werden in den nächsten vier Jahren mit 2,5 bis 3 % ebenfalls unter dem langjährigen Durchschnitt liegen.Nach Ansicht vieler Beobachter hat damit endlich einmal eine Regierung eingestanden, wie schlecht die Lage tatsächlich ist. Sowohl unter Morrisons Vorgänger Joe Hockey als auch unter den Labor-Schatzkanzlern zuvor war übertriebener Optimismus an der Tagesordnung gewesen. Unter Morrison und seinem ebenfalls erst seit zwei Monaten amtierenden Chef, Premierminister Malcolm Turnbull, hat sich jetzt ein neuer Realismus breitgemacht.Fraglich aber bleibt weiterhin, wie die Regierung ihre Einnahmen steigern kann, nachdem die Geldströme vor allem aus den Bereichen Eisenerz, Kohle und Gas zu einem leisen Plätschern verkommen sind. War die Regierung noch im Mai von einem durchschnittlichen Preis von 48 US-Dollar pro Tonne Eisenerz ausgegangen, hat sie die Erwartungen jetzt auf 39 US-Dollar heruntergeschraubt. In Australien hat es zudem in den vergangenen Jahren kaum Lohnsteigerungen gegeben, so dass die Steuereinnahmen aus dieser Quelle ebenfalls weniger heftig sprudeln.Auf der Habenseite steht zumindest bisher der erstaunlich robuste Arbeitsmarkt. Im vergangenen Monat war die Arbeitslosenrate sogar auf 5,8 % zurückgegangen. Die Regierung rechnet in den nächsten Jahren mit einem vergleichbaren Niveau. Nach Abflauen des Rohstoffbooms hatte vor allem die Bauindustrie die Wirtschaft befeuert. Unter dem obersten Technologiefan Australiens, Premierminister Turnbull, sollen Zukunftsindustrien aber mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. Die Regierung hat jüngst 1,1 Mrd. austr. Dollar zur Unterstützung von Innovationen ausgelobt. Die privaten Konsumenten haben sich bisher zurückgehalten, sicher auch, weil die Löhne eben kaum gestiegen sind. Der Staat kann – wegen seiner leeren Kassen kaum verwunderlich – auch nicht mehr ausgeben, um die Wirtschaft anzukurbeln. Reformen wichtiger denn jeWichtiger denn je wird aber wohl eine umfassende Steuerreform sein, die seit Jahren diskutiert, aber bisher von niemandem ernsthaft angepackt worden ist. Unter anderem ist eine Erhöhung oder Ausweitung der Mehrwertsteuer (GST) von derzeit 10 % in der Diskussion, die aber politisch schwer durchzusetzen ist. Ob Turnbull und Morrison im Falle eines derzeit sehr wahrscheinlichen Wahlsieges im kommenden Jahr (es muss bis Ende November gewählt werden) diese ebenso wichtigen wie vermutlich unpopulären Reformen anpacken werden, muss derzeit dahingestellt bleiben.