GASTBEITRAG

Realitätscheck für Krisenbeschwörer

Börsen-Zeitung, 30.3.2019 Aktuell fördert das sich eintrübende konjunkturelle Umfeld wieder einmal Prophezeiungen einer bevorstehenden Krise, die durch die Wahrnehmung einer ineffektiven und an ihre Grenzen stoßenden Notenbank noch verstärkt werden....

Realitätscheck für Krisenbeschwörer

Aktuell fördert das sich eintrübende konjunkturelle Umfeld wieder einmal Prophezeiungen einer bevorstehenden Krise, die durch die Wahrnehmung einer ineffektiven und an ihre Grenzen stoßenden Notenbank noch verstärkt werden. Sind diese negativen Einschätzungen berechtigt?Für das Eintreten einer Krise sind mehrere Elemente notwendig, die bei allen historischen Krisen zu beobachten waren:- Innovationen, die einen Kreditvergabe- und Vermögensboom auslösen,- spekulatives Verhalten auf den Finanzmärkten, was sich in überzogenen Erwartungen und Fehleinschätzungen des Risikos niederschlägt,- eine Phase der Ernüchterung, oftmals durch einen konjunkturellen Einbruch, die zur Panik auf den Finanzmärkten führt.Diese Panik verursacht einen drastischen Preisverfall von Vermögen beziehungsweise Schulden: Die Blase platzt, die Wirtschaft bricht ein und Ausfallraten steigen. Dies wiederum führt zu einem Vertrauenseinbruch innerhalb eines hoch gehebelten Bankensystems.Denn eine Wirtschaftskrise geht immer mit einer Banken- oder Finanzkrise einher. Entscheidend bei diesem Prozess sind somit nicht nur die vorausgehende Eskalation der Kreditvergabe und Fehleinschätzungen des Risikos, sondern insbesondere die darauf folgende Liquiditätskrise im Bankensektor. Sie wird vor allem durch Intransparenz sowie hohe Hebelung des Eigenkapitals verschärft. Die Intransparenz wird durch schwer bewertbare Vermögenswerte geschürt – sogenannte toxische Assets – sowie durch Misstrauen der Banken untereinander, wer von diesen Assets in welchem Maße betroffen ist. Diese Intransparenz mag bis hin zu einem öffentlichen Vertrauenseinbruch und damit einem “Bank Run” führen. Das entscheidende Element dieser Dynamik ist Vertrauen. Ist es gestört, kommt es zu einer Liquiditätskrise im Bankensektor und damit zu einem Liquiditätsentzug in der Realwirtschaft.In der letzten Finanzkrise führte die Kombination aus einer durch einen boomenden US-Häusermarkt resultierenden Fehleinschätzung des Risikos von Subprime-Krediten mit komplexen Verbriefungsstrukturen zu einem massiven systematischen Risiko, das zu einem weitreichenden Misstrauen im weltweiten Bankensystem führte. Die Immobilienpreise haben zwar aktuell fast das Niveau von 2005 erreicht, aber ihre systematische Bedeutung ist deutlich geringer. Die Rolle der NotenbankenNotenbanken wurden in erster Linie geschaffen, um in Krisenzeiten Geld zu drucken. Dabei ging es weniger darum, langfristig Preisstabilität zu sichern. Für Preisstabilität wäre ein Festhalten der Notenbanken am Goldstandard der effektivere Ansatz. Doch Gold kann sich in Krisenzeiten nicht drastisch vermehren. Hierfür bedarf es Papiergeld ohne Golddeckung. Kritiker bemängeln, dass Notenbanken dazu neigen, ihre Befugnisse stark auszuweiten und durch “billiges” Geld das Fundament für die nächste Krise zu legen. Doch die Erfahrung zeigt, diese Befürchtung ist weitgehend unbegründet. Vielmehr hat sich bewährt, dass Notenbanken in Krisen eher über- als untertreiben. Sollte sich überschüssige Liquidität negativ in Form von Inflation, Finanzblasen oder Überinvestitionen niederschlagen, kann eine restriktive Geldpolitik gegensteuern.In der Eurozone eskaliert aktuell weder die Inflation, noch kommt es zu einer exzessiven Geldmengenausweitung oder einem durch billiges Geld induzierten Investitionsboom. Im Gegenteil, relativ hohe Schuldenquoten sorgen bestenfalls für moderates Wachstum und benötigen anhaltend niedrige Zinsen, – vor allem, wenn diese einen nur eingeschränkten Einfluss auf die Realwirtschaft aufweisen.Eine Krise entsteht in erster Linie aufgrund von Liquiditätsproblemen. Dies zeigte sich bei der Lehman-Pleite ebenso wie bei jüngsten Problemen in der Türkei. Doch während die Fed in Krisenzeiten die Zinsen senkt, um Geld billiger zu machen, musste die türkische Notenbank wegen einer hohen Fremdwährungsverschuldung des Bankensektors die Zinsen anheben, um US-Dollar-Liquidität anzuziehen. Damit birgt eine hohe Fremdverschuldung Krisenpotenzial, vor allem wenn sich die inländischen Rahmenbedingungen und die internationale Risikoeinschätzung zu einem Land ändern. Das musste auch Russland 1998 erfahren. Auch führt eine hohe Fremdverschuldung zu einer gewissen Abhängigkeit von vor allem der US-Geldpolitik, wofür die südamerikanische Schuldenkrise ein Beispiel ist.Eine aktive Notenbank mit hoher Sensibilität für Krisen ist sicherlich eine gute Voraussetzung, nicht nur um Krisen zu vermeiden, sondern um solche bereits im Ansatz zu erkennen und früh genug gegenzusteuern. Notenbanken, die den Fokus eher auf die Liquidität richten als auf einen neutralen Zinssatz, reduzieren somit das Krisenrisiko. Aktuell verfolgen Fed und EZB solch eine Geldpolitik. Erst wenn davon auszugehen ist, dass sich der Konjunkturausblick dadurch nicht nennenswert ändert, ist mit einer Zinsanhebung zu rechnen. Krisenrisiko überschaubar Wie hoch ist das aktuelle Risiko einer Krise? Die Literatur ist sich einig, dass regulatorische Maßnahmen seit der Finanzkrise die Robustheit des Bankensystems verbessert haben. Banken haben ihre Eigenmittelquoten erhöht, es wurden Abwicklungsmechanismen geschaffen und Liquiditätskennziffern definiert, während Stresstests die Transparenz im Bankensektor erhöhen. Ein konjunktureller Abschwung würde zwar Risikovorsorge und Abschreibungen erhöhen, doch dies wäre mit höheren Eigenkapitalquoten ein weniger systematisches Risiko als in vorherigen Konjunkturzyklen. Auch gibt es keinen intransparenten toxischen Vermögensaufbau in den Bankbilanzen. Die hohen Bestände der italienischen Banken an notleidenden Krediten sind hingegen bekannt. Das Krisenrisiko im Bankensystem scheint somit überschaubar.Entscheidend ist jedoch, dass die EZB jeder einzelnen Bank volle Liquiditätsbereitstellung zusichert und nicht mehr den früheren Ansatz verfolgt, nur den Liquiditätsengpass im Interbankenmarkt abzudecken. Das Risiko, dass ein Vertrauenseinbruch entsteht, der in einer Liquiditätskrise mündet, ist somit deutlich entschärft. Die jüngsten Ankündigungen von neuen langfristigen Liquiditätsbereitstellungen durch die EZB sind deshalb zu begrüßen. Eine anhaltende Überliquidität im europäischen Bankensystem erhöht allerdings den Druck, den negativen Einlagenzinssatz auf zumindest 0 % anzuheben, um strukturelle Ertragseinbußen der Banken zu reduzieren.Die aktuelle konjunkturelle Abkühlung sollte ein überschaubares systematisches Krisenrisiko mit sich bringen. Dazu trägt entscheidend die Liquiditätspolitik der EZB bei. Wichtig ist aber auch, dass es aktuell keine intransparenten, hochkomplexen “toxischen Assets” gibt, die sich durch eine deutliche Neubewertung zu einem systematischen Risiko und zu einer Bankenkrise entwickeln könnten. So mag Unsicherheit darüber herrschen, ob wir einen Soft Patch oder eine Rezession erfahren. Die Antwort auf die Frage, ob eine Krise bevorsteht, ist hingegen eindeutig.—-Klaus Bauknecht, Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG