Rekordschulden - na und?

Fiskalexperten versichern: Können uns hohes Defizit leisten - Doch ein Risiko bleibt

Rekordschulden - na und?

Von Stefan Reccius, FrankfurtKein Land in Europa lässt sich die Rettungspakete für seine Unternehmen und Bürger in der Coronakrise so viel kosten wie die Bundesregierung. Die Bundesländer ziehen mit eigenen Milliardenprogrammen munter mit. Inzwischen reichen die Pakete aus Direkthilfen, Überbrückungskrediten und staatlichen Garantien über die Billion-Euro-Schwelle. Ein Konjunkturprogramm dürfte folgen, sobald die Wirtschaft aus dem künstlichen Koma erwacht. Quote springt auf 75 ProzentDie Folge ist eine Rekordverschuldung. Die Bundesregierung rechnet 2020 mit einem Defizit von 7,25 %. Die Schuldenquote dürfte, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, nach Schätzungen des Kabinetts auf rund 75 % springen. Im abgelaufenen Jahr war der Schuldenstand gerade erst unter die im Maastricht-Vertrag vereinbarte Marke von 60 % gefallen. Die Volkswirte der Deutschen Bank halten es gar für möglich, dass Deutschland Staatsschulden um die Hälfte steigen. “Die fiskalische Solvenz aller Euro-Länder leidet durch die Krise”, sagt Stefan Kooths, Leiter des Prognosezentrums am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Kann sich dieses Land, dessen führendes Politikpersonal noch in den Anfängen dieser Krise ein Aussetzen der Schuldenbremse wie ein Sakrileg behandelte, die teuren Hilfen am Ende überhaupt leisten?Ja, sagen Schuldenforscher wie der Makroökonom Moritz Schularick von der Universität Bonn und der Politikökonom Christoph Trebesch vom IfW. Maßgeblich sei nicht die absolute Höhe der Schulden, vielmehr komme es auf deren langfristige Tragfähigkeit an, sagt Schularick. Entscheidend dafür sei das Verhältnis von Zinsniveau und BIP-Wachstum.Um das zu verdeutlichen, vergleicht er die Schuldenquote mit einem Heißluftballon: Die Zinsen sind wie heiße Luft, die Wachstumsrate wie Sandsäcke. In den Jahren vor der Krise unterschritten die realen Zinsen das BIP-Wachstum – umso mehr, seit die Renditen für Bundesanleihen negativ sind. Springt die Wirtschaft wieder an, entfalten die Sandsäcke umgehend ihre Kraft. Der Schuldenballon verliert an Höhe.Die Eigenheit der gegenwärtigen Krise spielt dem in die Karten. Volkswirte werden nicht müde zu betonen, dass anders als im Zuge der Weltfinanzkrise 2008 Finanzsystem und Realwirtschaft nicht in ihrer Substanz angegriffen sind. Sobald der verordnete Stillstand endet, können die Betriebe zurück an die Arbeit. Deshalb herrscht breiter Konsens, den Unternehmen mit staatlicher Hilfe über die unverschuldete Flaute hinwegzuhelfen. “In einem Niedrigzinsumfeld können wir aus den Schulden herauswachsen”, schlussfolgert Schularick. Ein zusätzlicher Lastenausgleich, etwa in Form einer Vermögensteuer, oder ein dauerhafter Haushaltsüberschuss seien dann entbehrlich.Voraussetzung: Die Zinsen bleiben niedrig. Trebesch sagt: “Nach meiner Einschätzung könnten wir viele weitere hundert Milliarden Euro Schulden machen und die Zinsen würden immer noch bei null liegen”. Genau das hat die Finanzagentur vor: Die Schuldenmanager des Bundes haben ihr Emissionsvolumen für dieses Jahr um 75 % aufgestockt und wollen 2020 Anleihen über mindestens 378,5 Mrd. Euro begeben (vgl. BZ vom 8. April).Der Blick in die Vergangenheit macht Trebesch Mut: Steige die Staatsverschuldung sprunghaft, würden nicht zwangsläufig die Zinsen steigen, besonders nicht in sicheren Häfen. Im Zuge der Finanzkrise nahm Deutschland netto 130 Mrd. Euro neue Schulden auf, die Schuldenquote galoppierte von 64 % im Vorkrisenjahr 2007 auf 82,4 % 2010. Der Zinssatz aber fiel. “Um die nächste Generation zu entlasten, könnte man die niedrigen Zinsen auch langfristig sichern, indem man Anleihen mit 50 oder 100 Jahreslaufzeit begibt”, findet Trebesch. StaatsschuldenkriseEin großes Risiko aber bleibt: Etliche Ökonomen warnen vor einer neuen Staatsschuldenkrise im Euroraum, in deren Folge auch der Euro auf dem Spiel stünde. Das könnte Deutschlands komfortabler Position in Sachen Schuldendienst gefährlich werden. “Ich rechne dann mit großen Kapitalabflüssen Richtung USA und Asien”, sagt Trebesch, “dann könnte Deutschland seine derzeit dominante Position verlieren, zumindest zum Teil”. Der Status sicherer Hafen wäre beschädigt. Auch Schularick sagt: “Ich würde mir große Sorgen machen, falls wir keine gemeinsame europäische Antwort finden können.”