NOTIERT IN WASHINGTON

Religionstest für Syrer

Die Angst vor Terror scheint in den USA deutlich mächtiger zu sein als der Wunsch, sich weiter als tolerante und offene Gesellschaft zu präsentieren - eine Haltung, die das Land geprägt hat als Schmelztiegel der Nationen. Politiker haben in diesen...

Religionstest für Syrer

Die Angst vor Terror scheint in den USA deutlich mächtiger zu sein als der Wunsch, sich weiter als tolerante und offene Gesellschaft zu präsentieren – eine Haltung, die das Land geprägt hat als Schmelztiegel der Nationen. Politiker haben in diesen Tagen nämlich ein fast einstimmiges Signal gesendet: Flüchtlinge aus Syrien sind unerwünscht und sollen draußen bleiben.Zwar plädiert Präsident Barack Obama dafür, dass die USA syrische 10 000 Antragsteller auf politisches Asyl aufnehmen. Gleichwohl setzen der Kongress sowie eine Mehrheit der 50 Gouverneure alles daran, die Einreise und anschließende Integration der Syrer zu blockieren. Sie befürchten, dass sich getarnte Mitglieder und Anhänger der Terrormiliz IS unter die Zugereisten mischen könnten.Ungeachtet des wachsenden politischen Widerstands, der seit den Terroranschlägen in Paris deutlich zugenommen hat, plädiert Obama weiterhin für mehr Verständnis seitens seiner Landsleute für das Leid der Menschen. “Den Flüchtlingen die Tür vorm Gesicht zuzuknallen, wäre Betrug an unseren innersten Werten”, sagt der Präsident. Er wies auf die lange Tradition der USA als klassisches Einwanderungsland hin, das im Gefolge des Vietnamkriegs 1979 und 1980 über 300 000 Vietnamesen aufnahm und in die US-Gesellschaft eingliederte. Dagegen nehmen sich die 1 860 Syrer, die seit dem Beginn des Bürgerkriegs in den USA politisches Asyl erhielten, verschwindend gering aus. Sie machen weniger als 2 % jener 70 000 politischen Flüchtlinge aus, die 2014 in den USA eine neue Heimat fanden.Scharfe Kritik übte Obama in sozialen Medien an den Positionen der republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Mit einer Serie von Kommentaren via Twitter ging er unter anderem mit Äußerungen von New Jerseys Gouverneur Chris Christie scharf ins Gericht, der sagte, dass sein Staat “nicht einmal dreijährige Waisenkinder aus Syrien aufnehmen wird”. Der Chirurg Ben Carson, der sich nach Wählerumfragen weiterhin großer Beliebtheit erfreut, verglich die syrischen Flüchtlinge mit “tollwütigen Hunden, vor denen jede Familie ihre Kinder schützen will”. Ebenfalls rabiat und diskriminierend meldete sich Senator Ted Cruz zu Wort, der den rechtsgerichteten Tea-Party-Flügel der Republikaner vertritt. Er verlangt, dass nur jene Flüchtlinge für die Einreise in Frage kommen, die in einem “Religionstest” beweisen können, dass sie keine Muslime sind.Die Kandidaten scheinen mit ihrer Hetze gegen die Flüchtlinge auch eine Mehrheit der Wähler hinter sich zu wissen. Daher hat der Kongress bereits konkrete Maßnahmen ergriffen. Ende vergangener Woche billigte das Repräsentantenhaus ein Gesetz, das Asylbewerbern nur dann die Einreise erlaubt, wenn die Geheimdienste und andere Sicherheitsbehörden nach einer Durchleuchtung der Vergangenheit jedes Antragstellers versichern können, dass sie keine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen.Das Gesetz muss noch vom Senat verabschiedet werden, wo sich zumindest zaghafter Widerstand regt, weil eine einzelne Religionsgruppe diskriminiert wird. Zudem hat Obama mit einem Veto gedroht, sollte das Gesetz von beiden Kammern genehmigt werden. Im Unterhaus, wo nicht weniger als 37 Demokraten dem Präsidenten den Rücken kehrten, könnte aber leicht jene Zweidrittelmehrheit zustande kommen, mit der ein Veto zurückgewiesen werden kann.Auch haben die Gouverneure der meisten Bundesstaaten zu verstehen gegeben, dass sie von Asylbewerbern aus jenem Land, das der IS als seine Heimat ansieht, nichts wissen wollen. 28 von ihnen haben gesagt, dass sie um jeden Preis verhindern wollen, dass syrische Flüchtlinge in ihrem Staat eine neue Heimat finden. Sollten jene aber eine permanente Aufenthaltsberechtigung erhalten, könnten sie nicht verhindern, dass sie von einer der Übersiedlungsbehörden in ihren Staat geschickt werden.”Wir können ihnen aber das Leben schwermachen”, kündigte Texas’ Gouverneur Greg Abbott sogleich an. Er hat texanische Gesundheitsbehörden angewiesen, die Kooperation mit diesen Behörden zu verweigern. Andere Gouverneure wollen Flüchtlingen den Zugang zu staatlichen Schulen und Universitäten sowie beruflichen Fortbildungsprogrammen und anderen Sozialleistungen versperren.