GASTBEITRAG

Rezession ist etwas anderes

Börsen-Zeitung, 14.2.2013 Heute veröffentlicht das Statistische Bundesamt die Ergebnisse für das deutsche Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal 2012. Es wird allgemein mit einer Abnahme gegenüber der Vorperiode um ein halbes Prozent gerechnet. Auf...

Rezession ist etwas anderes

Heute veröffentlicht das Statistische Bundesamt die Ergebnisse für das deutsche Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal 2012. Es wird allgemein mit einer Abnahme gegenüber der Vorperiode um ein halbes Prozent gerechnet. Auf den ersten Blick scheint damit die hartnäckige Rezession im Süden des Euroraums auch Deutschland erfasst zu haben. Da das “R-Wort” an der Börse heftige Reaktionen auslösen kann, wie zuletzt im Spätsommer 2011, sollte sorgsam damit umgegangen werden. Übliche Definition ungeeignetDie populäre Definition besagt, dass eine Rezession dann vorliegt, wenn das reale Bruttoinlandsprodukt in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen im Vergleich zur jeweiligen Vorperiode sinkt. Und niemand kann heute ausschließen, dass das erste Vierteljahr 2013 noch einmal eine leicht rote Zahl aufweist.Die Definition der zwei aufeinanderfolgenden Minusquartale ist aber völlig ungeeignet, das Phänomen Rezession zu beschreiben. Dafür kommt es weder auf einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes an, noch gar darauf, dass dieser in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen erfolgt. Im Übrigen ist die Fokussierung auf das Bruttoinlandsprodukt zu eng. Eine Rezession, ökonomisch sinnvoll definiert, ist eine spürbare Unterauslastung der gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten. Die realisierte Produktion, das Bruttoinlandsprodukt, unterschreitet die mögliche Produktion, das Produktionspotenzial bei Normalauslastung. Kurz gesagt müssen die drei D erfüllt sein: Tiefe (Depth), Dauer (Duration) und Ausbreitung (Dispersion).Eine Wirtschaft mit hohem Potenzialwachstum, wie China heute oder Japan in den Achtzigerjahren, erfährt eine Rezession, auch ohne dass das Bruttoinlandsprodukt schrumpft. Manche sprechen dann von einer Growth Recession, was aber ebenfalls wenig zur Erhellung beiträgt. Ein einfaches Beispiel zeigt, dass es nicht auf eine Schrumpfung in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen ankommt. Im ersten Fall lauten die Veränderungsraten in drei Quartalen – 0,1 %, – 0,1 %, + 0,5 %; das Bruttoinlandsprodukt nimmt per saldo also um 0,3 % zu. Das wäre nach der populären Definition trotzdem eine Rezession. Im zweiten Fall ergibt sich folgender Verlauf: – 0,5 %, 0 %, – 0,5 %; hier nimmt das Bruttoinlandsprodukt in der Summe um 1 % ab, es wäre aber keine Rezession. Das macht keinen Sinn. Auch mit dem Zusatz, es handele sich um eine “technische Rezession”, bleibt es ohne Substanz.Wie steht es nun um den gesamtwirtschaftlichen Auslastungsgrad bzw. den Output Gap in Deutschland? Die Schwierigkeit beginnt bei der Schätzung des Produktionspotenzials. In der Industrie kann vergleichsweise präzise angegeben werden, wie viele Einheiten bei Normalauslastung produziert werden können; im Dienstleistungssektor ist das schon schwieriger, in der öffentlichen Verwaltung schier unmöglich. Die angewandten Schätzverfahren sind daher mit Unsicherheit behaftet und kommen bei unterschiedlichen Institutionen zu abweichenden Ergebnissen.Die Bundesbank und die Forschungsinstitute etwa ermitteln für 2012 und 2013 annähernd Normalauslastung. Die EU-Kommission kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Dieses Urteil erscheint plausibel, allemal wenn man den Arbeitsmarkt in die Betrachtung miteinbezieht. Die deutsche Wirtschaft ist auch bei dem geringen erwarteten Wachstum 2013 nicht in der Rezession. Von dieser Seite gibt es keinen Grund für einen Einbruch am Aktienmarkt.