SORGE UM DEUTSCHE WIRTSCHAFT

Rezessionsängste schüren Debatte über Konjunkturstütze

Krise der deutschen Industrie droht auf andere Sektoren überzuschwappen - Bundesbank warnt vor Rezession - Scholz bringt 50-Mrd.-Euro-Paket ins Spiel

Rezessionsängste schüren Debatte über Konjunkturstütze

Die deutsche Wirtschaft ist im Frühjahr geschrumpft, und da sich bislang keine Trendwende abzeichnet und die globalen Risiken immens sind, nehmen Sorgen vor einem Absturz zu. Zugleich mehren sich die Rufe nach staatlicher Hilfe. Wie ist die Lage – und was sagen und empfehlen führende Volkswirte?Von Mark Schrörs, Frankfurt Die deutsche Wirtschaft hat ein goldenes Jahrzehnt hinter sich: Seit dem Ende der durch die Weltfinanzkrise bedingten Rezession 2008/2009 ist die Wirtschaft im Schnitt um gut 2 % pro Jahr gewachsen und damit oberhalb der Potenzialrate. Zugleich schien sie lange Zeit fast unverwundbar: Ob Chinas Finanzmarktturbulenzen 2015 oder das Brexit-Votum 2016, ob geopolitische Krisenherde oder immer neue politische Turbulenzen in Euroland – nichts schien die deutsche Wirtschaft aus der Spur bringen zu können. Zeitweise kursierten gar Bedenken, der Boom könne in eine Überhitzung münden.Jetzt aber hat sich das Bild komplett gewandelt. Zwar schwächt sich das Wachstum bereits seit 2017 spürbar ab. Nun aber wird immer klarer, dass die Abkühlung sehr viel länger anhält und stärker ist als zunächst vermutet. Die Hoffnung, dass es sich nur um eine kurze Konjunkturdelle handelt, ausgelöst durch temporäre Probleme in der Automobilindustrie, hat sich verflüchtigt. Im Gegenteil: Inzwischen nimmt die Sorge vor einem kräftigen Abschwung oder gar einer Rezession zu. Bereits im zweiten Quartal 2019 ist die Wirtschaftsleistung um 0,1 % geschrumpft.Anfang dieser Woche hat auch die Bundesbank gewarnt: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) könnte auch im dritten Quartal schrumpfen – womit die Definition einer “technischen” Rezession erfüllt wäre. Mehr noch: Mit Blick auf die klaffende Lücke zwischen der Schwäche in der Industrie und bei den Exporten einerseits und der Robustheit bei den Dienstleistungen und der Binnenwirtschaft andererseits erklärten die Bundesbankvolkswirte, es sei “unklar”, in welche Richtung sich die Diskrepanz auflösen werde. Das heißt: Es kann auch noch viel schlimmer kommen.Vor allem die deutsche Industrie steckt in der Krise. Sie leidet unter der weltweiten Wachstumsabschwächung und den großen globalen Risiken, allen voran den Handelsstreitigkeiten wie jenen zwischen den USA und China. Die Binnenkonjunktur, speziell der private Konsum und der Dienstleistungssektor, präsentierte sich dagegen bis zuletzt robust. Nun aber wächst die Sorge, dass die industrielle Schwäche auf die anderen Sektoren ausstrahlt – und teilweise gibt es dafür auch erste Signale.Zuletzt haben staatliche Institutionen, internationale Organisationen, Banken und andere Volkswirte bereits reihenweise ihre Prognosen gesenkt. Laut dem aktuellen Konjunkturtableau von Börsen-Zeitung und ZEW sagen die Experten für 2019 ein Plus von nur noch 0,7 % voraus. Die Bundesregierung ist mit 0,5% sogar noch skeptischer. Für 2020 erwarten die Experten dann eine Belebung auf 1,2 %, die Regierung rechnet mit 1,5%. Die große Sorge aber ist, dass sich das als zu optimistisch herausstellen könnte.Angesichts dieser Lage nimmt die Diskussion über Konjunkturhilfen der Bundesregierung immer mehr Fahrt auf. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und andere fordern seit längerem, Berlin solle mehr Geld ausgeben, etwa für Investitionen in die Infrastruktur. Jetzt aber mehren sich auch aus der deutschen Wirtschaft die Hilferufe. So plädierte das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) jüngst für einen 450 Mrd. Euro schweren “Deutschlandfonds” zur Finanzierung von Investitionen in die Infrastruktur. Es tobt eine lebhafte Debatte über die “schwarze Null”, also das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts, und die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse.Die Bundesregierung hat Forderungen nach einem Konjunkturpaket oder anderen Hilfen lange Zeit stets zurückgewiesen. Zuletzt gab es aber einige Aussagen, die Beobachter als ein mögliches Umdenken werteten. Am Wochenende hatte insbesondere Finanzminister Olaf Scholz (SPD) aufhorchen lassen, als er über ein mögliches Gegensteuern gegen die Konjunkturschwäche sprach und eine Summe von rund 50 Mrd. Euro nannte – auch wenn er klarmachte, dass das aktuell kein Thema sei. Die Regierung scheint aber sehr wohl an Plänen für den Notfall zu arbeiten.Aktive Konjunkturmaßnahmen, die über das Wirkenlassen der automatischen Stabilisatoren hinausgehen, sind aber keineswegs unumstritten – unter Volkswirten nicht und auch nicht in der Politik. So warnen etwa zumindest einige Haushalts- und Wirtschaftspolitiker aus der Union davor, das Ziel der schwarzen Null vorschnell aufzugeben. Mit Blick auf Investitionen sei nicht das Geld das Problem, sondern der schleppende Abfluss bereits vorhandener Mittel – etwa wegen mangelnder Planungskapazitäten.Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat unlängst erneut gesagt, sie sehe keine Notwendigkeit für staatliche Konjunkturhilfen, aber zugleich betont, das gelte “im Augenblick” – und noch vieldeutig hinzugefügt, die Regierung werde stets “situationsgerecht agieren”.