Roms EU-Attacken präzise kalkuliert

Innenpolitik lässt Regierungschef Renzi gegen Brüssel und Berlin wettern

Roms EU-Attacken präzise kalkuliert

Von Thesy Kness-Bastaroli, MailandItaliens Regierungschef Matteo Renzi hat in den vergangenen Tagen wiederholt die EU und Deutschland ins Visier genommen. Er schlug dabei ungewöhnlich harsche Töne an. Bereits Anfang Dezember hatte er beim EU-Gipfel den Ausbau der Gaspipeline Nord Stream zwischen Russland und Deutschland und den deutschen Widerstand gegen eine gemeinsame Sicherung von Bankeinlagen im Euroraum scharf kritisiert. In Interviews in- und ausländischer Medien ging er dann nicht nur gegen die von Brüssel diktierte, vergangene Austeritätspolitik vor, sondern kritisierte auch das deutsche Bankensystem und fordert eine Aufweichung der Bail-in-Regeln. Last, but not least zeigte sich Renzi gegenüber der vereinbarten Bereitstellung von 3 Mrd. Euro für die Türkei in der Flüchtlingskrise mehr als reserviert. Vorbehalte hat Italien auch gegenüber der Anerkennung Chinas als freie Marktwirtschaft. Kurzum, Italien will von Brüssel eine Flexibilität beim Schuldenmachen, eine Industriepolitik, die den verarbeitenden Sektor stützt, und Regeln gegen Sozialdumping.Renzi steht unter Druck. Im Frühjahr finden wichtige Wahlen statt. In Italiens Großstädten wie Rom, Mailand, Neapel oder Bologna werden neue Bürgermeister gewählt. Die Oppositionsparteien und allen voran die Protestbewegung Movimento 5 Stelle (M5S) punkten mit ihrer Europaskepsis. Noch nie war in Italien die Zustimmung zur EU so niedrig wie bei den jüngsten Meinungsumfragen. Mit seiner Kritik nimmt Renzi seinen Gegner sozusagen Wind aus den Segeln. Heikles TerrainDas Bankenthema ist in Italien ein äußerst heikles Terrain. Nicht nur, dass Italiens Banken auf Problemkrediten von 200 Mrd. Euro sitzen. Die von Finanzminister Pier Carlo Padoan diesbezüglich eingeleiteten Verhandlungen mit Brüssel sind noch zu keinem Abschluss gekommen. Auch hat die Abwicklung von vier Regionalbanken, bei der Kleinanleger Verluste erlitten haben, die Regierung weiter unter Druck gesetzt. Die Sparer hatten ihr Geld statt in Sparkonten in nachrangige Anleihen gesteckt, die bei Hilfs- und Abwicklungsaktionen bislang nicht geschützt waren.Zweifellos geht Rom bei den ständigen Attacken gegenüber Brüssel und Berlin ein Risiko ein. Denn Brüssel muss noch grünes Licht für das Stabilitätsgesetz 2016 geben, das eine Zunahme der Neuverschuldung von 1,8 auf 2,4 % der Wirtschaftsleistung vorsieht. Italien hat zwar die langjährige Rezession überwunden, die Wachstumsprognosen bleiben aber weiterhin hinter denen von Portugal, Spanien oder gar Irland zurück. Bereits liest man in tonangebenden italienischen Zeitungen die Kritik, dass Renzis Aggressionsstrategie einen Schuss nach hinten bedeuten könnte.Doch Italiens Regierungschef wappnet sich. Sein Parteikollege und Freund, der sozialistische Fraktionschef im EU-Parlament Gianni Pittella, drohte in einem Interview der Tageszeitung “La Repubblica”: Die Kommission müsse sich in der Wirtschaftspolitik bewegen, “sonst müssen wir in der sozialistischen Fraktion über unsere Unterstützung für die Kommission nachdenken”.Inzwischen plant der italienische Regierungschef gegen Monatsende die deutsche Kanzlerin in Berlin zu treffen. Unter anderem soll auch über die Energiepolitik und über Nord Stream diskutiert werden. Und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will Renzi ebenfalls in den nächsten Wochen treffen. Renzi ist bislang zumindest eines gelungen: die Aufmerksamkeit auf Italien zu lenken.