Expertenrat für Klimafragen

Rüffel für Klimaschutzprogramm der Bundesregierung

Das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung liefert nach Einschätzung des Expertenrates für Klimafragen zwar einen substanziellen Beitrag zur CO2-Senkung. Die Ziele für 2030 würden damit aber nicht erreicht.

Rüffel für Klimaschutzprogramm der Bundesregierung

Klima-Expertenrat rüffelt Bundesregierung

Lücke bei CO2-Zielen für 2030 wohl größer als von Regierung prognostiziert – Nachholbedarf vor allem im Verkehrssektor

Das aktuelle Klimaschutzprogramm der Bundesregierung liefert nach Einschätzung des Expertenrates für Klimafragen zwar einen substanziellen Beitrag zur CO2-Senkung. Die Ziele für 2030 würden damit aber nicht erreicht, so die Experten, die auch ein fehlendes Gesamtkonzept beim Klimaschutz bemängeln.

ahe Berlin

Die Bundesregierung schätzt die positiven Auswirkungen ihrer Klimapolitik nach Meinung des Expertenrates für Klimafragen zu optimistisch ein. Die bis 2030 zu erwartende Minderung des CO2-Ausstoßes werde „vermutlich überschätzt“, sagte der Vorsitzende des unabhängigen fünfköpfigen Expertengremiums, Hans-Martin Henning, bei der Vorstellung eines Gutachtens zum aktuellen Klimaschutzprogramm der Koalition. Dieses kommt zu dem Ergebnis, dass selbst bei vollständiger Umsetzung der in dem Programm aufgeführten rund 130 Maßnahmen die Lücke bei der Erreichung der CO2-Ziele 2030 noch größer ausfallen wird als von der Regierung geschätzt.

Habeck: „Großer Fortschritt“

Einem neuen Projektionsbericht der Koalition zufolge werden 2030 noch immer – je nach Szenario – 200 bis 330 Mill. Tonnen CO2 zu viel ausgestoßen, um das 65-Prozent-Minderungsziel im Vergleich zu 1990 zu erreichen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck verwies allerdings darauf, dass dieser Wert vor zwei Jahren noch bei 1.100 Mill. Tonnen gelegen hatte. „Die Klimaschutzlücke, die die Vorgängerregierung hinterlassen hat, wird um bis zu etwa 80% geschlossen“, betonte der Grünen-Politiker. „Das ist ein großer Fortschritt.“

In dem Projektionsbericht beträgt die Lücke in der Industrie noch 51, im Gebäudebereich 35 und im Verkehrssektor 187 Mill. Tonnen CO2 – wobei die Prognosen für den Verkehrssektor von Wirtschafts- und Verkehrsministerium sehr unterschiedlich ausfallen. Henning verwies darauf, dass die angenommenen Emissionsminderungen im Gebäudesektor wohl geringer ausfallen werden. Grund sei die geänderte Ausgestaltung des umstrittenen Gebäudeenergiegesetzes. Im Verkehrsbereich verwies der Expertenrat unter anderem auf optimistische Annahmen bei der Umsetzungsgeschwindigkeit und Finanzierung der beschlossenen Maßnahmen. Die stellvertretende Vorsitzende des Rates, Brigitte Knopf, kritisierte zudem, der Pkw-Individualverkehr werde im Klimaschutzprogramm so gut wie gar nicht adressiert.

Eigene Prognosen, wie groß die Lücke bei der CO2-Minderung bis 2030 noch sein wird, wollte der Expertenrat nicht abgeben und verwies auf die unzureichende Datenlage, die von der Bundesregierung geliefert wurde. Zudem würden Ankündigungen wie etwa zum Abbau klimaschädlicher Subventionen bislang nur vage formuliert. Nach den Worten von Knopf fehlt aus Sicht des Rates insbesondere ein „schlüssiges und konsistentes Gesamtkonzept und ein übergreifender Maßnahmenrahmen“ der Koalition im Bereich des Klimaschutzes. Eine „naheliegende Option“ wäre es nach Ansicht von Knopf, die Durchsetzung einer festen Obergrenze im nationalen Emissionshandel, die erst 2027 kommen soll, schon vorzuziehen. Dies müsse dann aber mit sozialen Ausgleichsmaßnahmen versehen werden wie etwa der Einführung des schon im Koalitionsvertrag angekündigten Klimageldes.

Das Gutachten des Expertenrates, das turnusgemäß alle zwei Jahre vorgelegt wird, führte zu deutlichen Reaktionen von Umweltverbänden: Die Deutsche Umwelthilfe sprach von einem „Pseudo-Klimaschutz“ der Regierung. Es brauche dringend ein Notfallprogramm. „Wir fordern im Gebäudesektor einen sofort wirksamen Einbaustopp für Öl- und Gasheizungen“, so Geschäftsführerin Barbara Metz.

Scharfe Kritik

„Während wir die Klimakrise weltweit immer extremer zu spüren bekommen, werden in Deutschland die im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen für mehr Klimaschutz ins Klein-Klein zersetzt“, monierte Viviane Raddatz, Klimachefin beim WWF Deutschland. Das Gebäudeenergiegesetz sei zerpflückt worden, die kommunale Wärmeplanung so nachgiebig gestaltet, dass Effekte auf Jahre verzögert würden. Und von der Verkehrswende sei noch nicht einmal etwas zu erahnen, kritisierte Raddatz.

Auch der Energieverband BDEW sieht jetzt zusätzliche Maßnahmen gerade im Verkehrssektor als „zwingend notwendig und nach dem geltenden Klimaschutzgesetz sogar verpflichtend“ an. Die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung, Kerstin Andreae, forderte vor allem eine Strategie, um 15 Millionen E-Autos bis 2030 auf die Straße zu bekommen. E-Autos müssten auch finanziell attraktiver werden.

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