Rufe nach Neustart der transatlantischen Beziehungen
ahe Brüssel
Die deutsche Wirtschaft wird einer neuen Studie zufolge immer stärker von den Handelsstreitigkeiten der EU mit den USA getroffen. Laut der Analyse des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW) und seines Leiters Gabriel Felbermayr haben die USA in der Amtszeit von Präsident Donald Trump 1054 Handelsbarrieren beschlossen, die auch Folgen für Deutschland hatten. Aus deutscher Perspektive seien im gleichen Zeitraum lediglich 478 protektionistische Maßnahmen in Kraft getreten, die sich gegen die USA gerichtet hätten, hieß es.
Laut der Studie, die für die Stiftung Familienunternehmen erstellt wurde, haben allein die seit Herbst 2019 geltenden Zusatzzölle der USA im Airbus-Fall außerhalb des Flugzeugsektors zu einem Einbruch der deutschen Exporte von mindestens 40% geführt. Hinzu kämen die stark negativen Effekte der Coronakrise, die in der Spitze weitere 25% Einbußen ausmachten. Für Deutschland belaufen sich allein die Exporteinbußen durch die US-Airbus-Zölle auf fast 900 Mill. Euro jährlich und damit deutlich mehr als ursprünglich erwartet.
Der Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, Rainer Kirchdörfer, verwies darauf, dass sich auch die von der EU verhängten Gegenzölle gegen die USA negativ auf europäische Unternehmen auswirkten, da dadurch Vorprodukte aus den USA teurer würden. Ein Zollabkommen liege daher in beiderseitigem Interesse. Ähnlich äußerte sich gestern auch der Präsident des deutschen Maschinenbauverbands VDMA, Karl Haeusgen. Er wünsche sich in der Amtszeit von Präsident Joe Biden ein fokussiertes Handelsabkommen, sagte er auf der Hannover Messe.
EU-Politiker versuchten gestern allerdings, zu hohe Erwartungen an einen Neustart der transatlantischen Handelsbeziehungen zu bremsen. Der Vorsitzende des Handelsausschusses des Europaparlaments, Bernd Lange (SPD), verwies unter anderem mit Blick auf die US-Stahl- und Aluminiumzölle und eine Digitalsteuer darauf, dass es nach wie vor Interessengegensätze gebe. Und Michael Hager, Kabinettschef von EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis, betonte, ein Neustart werde „kein Spaziergang“. Er erwarte in den nächsten zwei bis drei Monaten „keinen großen Wurf“. Derzeit gehe es zwischen der EU und den USA vielmehr in wöchentlichen Gesprächen darum, Vertrauen aufzubauen.
Ball im Spielfeld der EU
IfW-Chef Felbermayr rät der EU-Kommission in seiner Studie, aktiv auf die USA zuzugehen und konkrete handelspolitische Vorschläge für einen Abbau bilateraler Handelsbarrieren zu machen. Am Anfang müsse die dauerhafte Entschärfung des Airbus-Boeing-Streites stehen.
In der Studie wird in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass die Zölle der EU auf US-amerikanische Waren ungefähr doppelt so hoch seien wie jene der USA auf europäische Waren. Die USA hätten allerdings seit 2009 und beschleunigt seit 2017 auch immer mehr nichttarifäre Barrieren eingeführt. Bei den Zöllen liege der Ball aber im Spielfeld der EU.
Hinzu komme: Die Welthandelsorganisation WTO habe im Streit um die Flugzeugsubventionen einen deutlich höheren Schaden durch die Subventionen der EU festgestellt als durch die der USA. Auch daher müsse sich die EU stärker bewegen: „Kann man den Streit über Flugzeugsubventionen nicht vollständig beilegen, dann muss wenigstens eine Verrechnung der gegenseitigen Schadenersatzansprüche erfolgen, mit der die Belastungen der europäischen Exporteure um mehr als 50% und jene der Importeure auf null abgesenkt werden könnten.“
Bei den Zöllen geht es dem IfW zufolge insbesondere um den Agrarbereich. Eine nachhaltige handelspolitische Aussöhnung mit den USA erfordere eine Neuordnung der europäischen Agrarordnung, die die bäuerlichen Einkommen nicht mehr über Importzölle stütze, sondern über modifizierte Direktzahlungen und Leistungsvereinbarungen, hieß es.
Die Studie verweist darauf, dass die Strafzölle im Airbus-Boeing-Streit nicht nur die Flugzeugindustrie träfen, sondern auch kleinere und mittelgroße Unternehmen aus anderen Branchen: Betroffen sind demnach unter anderem auch Hersteller alkoholischer Getränke, Süßwarenhersteller, der Werkzeugbau oder auch Anbieter von Milchprodukten, Nüssen, Früchten oder auch Printprodukten.
IfW-Chef Felbermayr rät Brüssel und Washington, ihr bilaterales Verhältnis in Ordnung zu bringen und mit einem neuen Freihandelsabkommen zu regeln, statt defensiv die Zusammenarbeit vor allem gegen den Handelspartner China zu suchen. „Ein starkes transatlantisches Verhältnis stärkt die Verhandlungsmacht sowohl der USA als auch Europas gegenüber China“, heißt es in der Studie.