Russland weiß nicht wohin mit seinen Milliarden

Streit über die Verwendung des übervollen Staatsfonds - Investitionen im Inland unter strengen Auflagen

Russland weiß nicht wohin mit seinen Milliarden

Von Eduard Steiner, MoskauMan kann Russland vieles vorwerfen. Dass es aus Erfahrungen gelernt hat, ist mittlerweile unbestritten. Vor allem bei den Finanzen bewies das der weltweit zweitgrößte Ölproduzent zuletzt. Die wirtschaftliche Rezession und nunmehrige Stagnation, hervorgerufen durch Ölpreisverfall und westliche Sanktionen ab 2014, haben zu einer eisernen Spardisziplin geführt. Sie soll gewährleisten, dass man gegen etwaige künftige Schocks gewappnet ist.So hat die Regierung 2017 eine Budgetregel eingeführt, der zufolge Einnahmen aus dem Ölverkauf, die über der Preisgrenze von 40 Dollar je Fass liegen, nicht für Budgetausgaben verwendet werden dürfen, sondern in harter Währung in einen Staatsfonds (genannt “Wohlfahrtsfonds”) fließen. Dieser nun füllte sich durch den relativ hohen Ölpreis weitaus rascher als erwartet. Mit 124 Mrd. Dollar bzw. 7,9 Bill. Rubel (das sind 7,3 % des Bruttoinlandsprodukts, BIP) hat er jetzt sogar jene Marke von 7 % des BIP überschritten, ab der darüber liegende Anteile auch wieder ausgegeben werden dürfen. Entsprechend liegen sich die Verantwortlichen in den Haaren, was mit dem Geld geschehen soll. Eine brisante Frage, schließlich ist mit rasant wachsenden Summen zu rechnen: Für 2020 veranschlagt das Finanzministerium 1,8 Bill. Rubel (28 Mrd. Dollar), die für Investitionen zur Verfügung stehen, für 2021 schon 4,2 Bill. Rubel (66 Mrd. Dollar).Von etlichen Seiten kam daher der Vorschlag, sich ein Beispiel an Norwegen zu nehmen, das über den weltweit größten Staatsfonds verfügt und diese Gelder ausschließlich im Ausland – vielfach in Aktien – anlegt, um im Inland einen Inflationsschub und eine Aufwertung der eigenen Währung zu verhindern. Auf der anderen Seite freilich begannen Unternehmer, vorwiegend Staatskonzerne wie die Eisenbahnen, die Post, der Gaskonzern Gazprom oder der private Gaskonzern Novatek, zu lobbyieren, um doch die eine oder andere Milliarde abzuzwacken.Inzwischen hat sich die Regierung immerhin zu einer gewissen Position durchgerungen. Die Zeitung “Wedomosti” berichtete, dass zumindest ein Teil im Inland investiert werden solle. Allerdings mit Beschränkungen auf wenige Großprojekte und mit harten Regeln. So dürfen Investitionsprojekte nach dem jetzigen Entwurf nur zu maximal 20 % vom Staatsfonds mitfinanziert sein. Auch müssen sie eine Rendite auf dem Niveau russischer Staatsanleihen (derzeit 6,5 bis 8 %) erbringen. Außerdem werden für die kommenden drei Jahre nur 1 Bill. Rubel für Ausgaben freigegeben. Den Rest will die Regierung vor einer ineffizienten Verwendung schützen. Das Finanzministerium habe sich konservativ für die Hortung des Geldes entschieden, meint Natalja Orlova, Chefökonomin der Alfa-Bank. “Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen, weil das Parlament noch Änderungen einbringen kann”, sagt Wladimir Tichomirov, Chefökonom von Russlands größtem Broker BCS Global Markets, auf Anfrage der Börsen-Zeitung. “Die Änderungen werden zwar gering sein, aber manche erhoffen sich wohl noch mehr Zugriff auf das Geld.”Die ersten 120 Mrd. Dollar des Wohlfahrtsfonds liegen jetzt großteils und unangetastet bei der Zentralbank, wo sie einen Teil der internationalen Gold- und Währungsreserven bilden – aktuell rund 540 Mrd. Dollar, der höchste Wert seit über acht Jahren. Wahrscheinlich werden sie schon bald dank dem Wohlfahrtsfonds weiter steigen – und, soweit bekannt, in in- und ausländische Staatspapiere und Gold angelegt werden. Es sei denn, Russland entschließt sich beizeiten, die überschüssigen Einnahmen aus dem Ölverkauf doch wie die Norweger weltweit in Aktien zu investieren.