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Russlands falsche Hoffnung auf ein Sanktionsende

Börsen-Zeitung, 7.4.2016 Die Diskussion über ein Ende der Wirtschaftssanktionen, also der westlichen Sanktionierungen und der russischen Gegenmaßnahmen, hat Fahrt aufgenommen. Auf Seiten der EU und der USA gibt es verstärkt Stimmen, die ein...

Russlands falsche Hoffnung auf ein Sanktionsende

Die Diskussion über ein Ende der Wirtschaftssanktionen, also der westlichen Sanktionierungen und der russischen Gegenmaßnahmen, hat Fahrt aufgenommen. Auf Seiten der EU und der USA gibt es verstärkt Stimmen, die ein Überdenken oder Abschaffen der Sanktionen fordern, und auch die russische Seite zeigt Interesse an einem Ausstieg. Während es aus Frankreich und Italien auch politische Willensbekundungen in diese Richtung gab, wurde zeitgleich auf russischer Seite, unter Umständen nicht zufällig, eine internationale Anleiheemission des Staates in Aussicht gestellt, an der auch europäische und amerikanische Investmentbanken als Arrangeure beteiligt wären und die partiell an eine Sanktionsaufhebung geknüpft wurde. Dennoch wird von russischer Seite betont, dass man nicht den ersten Schritt tun bzw. eigene Gegensanktionen nicht aus Prinzip aufheben werde. Erst müsse der Westen agieren. Entkoppelung nötigAm Finanzmarkt hat die skizzierte Diskussion Spekulationen auf ein rasches Sanktionsende genährt. Prominent hervorgetan haben sich hier einige der großen internationalen Investmentbanken, die in den vergangenen Jahren besonders ihre eigenen Russland-Exposures heruntergefahren und unter sinkenden Erträgen im Russland-Geschäft gelitten haben. Etwa haben die großen US- und UK-Banken ihre Russland-Exposures in den letzten Jahren um 50 bis 60 % gekürzt, während österreichische oder italienische Banken nur Reduktionen um 20 bis 30 % vorgenommen haben. Aber in Bezug auf den komplexen Nexus der Russland-Sanktionen würden wir deutlich vorsichtiger sein, im Vergleich zum aufkeimenden Optimismus bei einigen Investmentbanken.Für eine Lockerung muss der Westen als Erstes die Koppelung der Sanktionen mit der vollen Minsk-II-Implementierung prinzipiell revidieren. Dies ist angesichts der Zerfahrenheit von Minsk II – bei wechselseitiger Schuldzuweisung zwischen allen Parteien – sowie enttäuschender politischer Trends in Kiew, die den Minsk-II-Prozess eher verkomplizieren, nicht komplett undenkbar. Eine pragmatische Entkoppelung der Sanktionen und der Umsetzung von Minsk II wird auf westlicher Seite aber noch viel diplomatische Arbeit erfordern. Und angesichts jüngerer Erfahrungen mit Sanktionsregimen wäre selbst in solch einem Szenario eher mit einem graduellen Rückbau (ggfs. mit Rückfall-Klauseln) zu rechnen als mit einer prompten Komplettaufhebung.Zudem ist unklar, inwiefern Washington bei einer graduellen Lockerung der EU-Sanktionen mitziehen würde bzw. ob die EU ohne Lockerung seitens der USA ihre Restriktionen aufheben wird. Eine weniger restriktive Russland-Haltung erscheint im US-Wahljahr unwahrscheinlich. Auf russischer Seite gibt es indessen Mutmaßungen, dass die EU unabhängig von den USA ihre Sanktionen aufheben könnte. Wobei auch fraglich ist, ob es in der EU derzeit überhaupt den politischen Spielraum gibt, um den Sanktionsausstieg zu wagen (Polen etwa könnte angesichts aktueller Friktionen bremsen). Eine solche unilaterale Lockerung durch die EU würde nicht nur zusätzliche Komplexität bringen, auch wären diese Schritte wenig wirksam.Darüber hinaus werden jene Teile der Sanktionen, die im Zusammenhang mit der Krim-Annexion stehen, jedenfalls noch längere Zeit bestehen bleiben. Insofern wird sich auch an der zeit- und kostenintensiven Prüfung von russischen Geschäftspartnern für die betroffenen westlichen Unternehmen nichts ändern.Derzeit leidet die russische Wirtschaft unter einem massiven Import- und Investitionsrückgang, auch bei den großen Energieunternehmen. Dieser Rücksetzer ist aber vor allem der schwierigen Lage der russischen Wirtschaft geschuldet und steht nicht direkt in Verbindung mit den Sanktionen. Lediglich der massive Einbruch von grenzüberschreitenden Forderungen westlicher Banken nach Russland in den letzten zwölf bis 18 Monaten im Ausmaß von ca. 50 % (von etwa 258 Mrd. Dollar im März 2013 auf nur noch 120 Mrd. Dollar derzeit) kann eher als unmittelbare Folge der Sanktionen gesehen werden. Immerhin sind die internationalen Bankfinanzierungen deutlicher zurückgegangen als der Außenhandel oder der Bestand an Auslandsschulden, die in den letzten 12 bis 18 Monaten “nur” um 25 bis 35 % schrumpften. Wobei selbst hier die generelle Schuldenrückführung, angesichts der schwachen Wirtschaftslage, eine Rolle spielt. Und da die strukturell soliden Teile des russischen Bankensystems überliquide sind, konnte der massive Rückgang internationaler Finanzierung bis dato einfach lokal kompensiert werden. Daher sehen wir von russischer Seite, trotz zunehmender Signale in Richtung Dialogbereitschaft, keinen imminenten Druck, am aktuellen Sanktionssetting etwas zu ändern. Gradueller AusstiegEs ist derzeit wahrscheinlich, dass es vor der im Sommer anstehenden Entscheidung der EU zum Status der Russland-Sanktionen zu einer anschwellenden Diskussion über einen Einstieg in den Ausstieg aus den Restriktionen kommt. Wobei mögliche Lockerungen, wenn überhaupt, eher kosmetischer Natur sein werden und wahrscheinlich eingefrorene (Privat-)Vermögen und Reisebeschränkungen betreffen werden. Die spannendste Frage wäre dann, ob die russische Seite solch kosmetische Schritte als hinreichend für die Rücknahme eigener Importrestriktionen einstuft. So könnte der Kreml Kompromissbereitschaft – über die aktuelle Dialogbereitschaft hinausgehend – zeigen. Wobei solch ein Schritt vor den Duma-Wahlen im Herbst sicher kein Selbstläufer ist. Im innenpolitischen Narrativ sind die eigenen Gegensanktionen durchaus ein Element einer nicht zu unterschätzenden antiwestlichen Haltung.Die Praxisrelevanz einer Lockerung der EU-Sanktionen ohne Schritte der USA und Russlands wäre minimal. Denn erst die Aussicht, dass alle Sanktionen glaubwürdig und endgültig beseitigt werden, wird etwas am restriktiven Umgang mit Russland-Agenden in von Sanktionen betroffenen westlichen Firmen ändern.—-Gunter Deuber, Osteuropa-Analyst bei der Raiffeisen Bank International