ENDE DER ALTEN ORDNUNG

Russlands Kampf um Bedeutung

Großmachtanspruch versus Abstiegsangst - Wirtschaft verliert an Gewicht

Russlands Kampf um Bedeutung

Von Eduard Steiner, MoskauWenn sich Russland-Kenner am Psychogramm von Präsident Wladimir Putin abarbeiten und sein außenpolitisches Vorgehen zu beschreiben versuchen, greifen sie gern zu einem Bild aus dem Sandkasten. Dort, sagen sie, komme es ja gelegentlich vor, dass ein Kind ausgeschlossen wird und sich dann selbst ins Spiel bringt, indem es die anderen mit Sand bewirft. Auch die außenpolitischen Aktionen des Kreml-Chefs werden von Teilen der internationalen Gemeinschaft als störend empfunden – oder wie im Falle der Ukraine gar als Völkerrechtsbruch gewertet. Aber Russland ist zurück im Spiel. Und die Weltordnung, die nach Putins Vorstellung nicht mehr von Amerika und Europa dominiert werden soll, ist längst multipolar.Diese Entwicklung sei nicht nur Moskaus Verdienst, sondern ein genereller Trend, wie Fjodor Lukjanow sagt, Leiter des eng mit dem Außenministerium verbundenen Thinktanks SVOP und Chefredakteur der Zeitschrift “Russia in Global Affairs”. Aber “Russland hat in einigen internationalen Konflikten so weit an Bedeutung gewonnen, dass seine Interessen bei der Suche nach Lösungen berücksichtigt werden müssen”, sagt Margarete Klein, Osteuropa-Expertin der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP). Wut über ObamaOb es in dieser Weltordnung von den USA und China auch auf Augenhöhe wahrgenommen wird, ist allerdings fraglich. Immerhin aber verspotten die heutigen USA Russland nicht mehr so leicht als Regionalmacht, wie dies der ehemalige US-Präsident Barack Obama im März 2014 tat – womit er Putin buchstäblich zur Weißglut brachte. Russlands Problem sei, dass es in mancher Hinsicht ein aufstrebendes, in anderer Hinsicht ein absteigendes Land sei, so Klein: “China, das selbst klar aufstrebend ist, lässt Russland aber das Gesicht wahren”, sagt die Expertin. Eine Frage der StärkePutin hatte richtig geahnt, dass man mit seinem Land “nur dann rechnet, wenn es stark ist”, wie er schon 2012 festhielt. Zumindest von Moskaus Entschlossenheit, in Syrien militärisch zu intervenieren, war der Westen völlig überrascht. Russland habe von 2012 an das Spiel dort umgedreht und unterhalte heute aktive Beziehungen zu allen Akteuren vor Ort, meint Lukjanow: “Wollte Moskau anfänglich nur im Spiel bleiben, bestimmt es dieses heute.” Das sieht auch SWP-Expertin Klein so: Russland sei der wichtigste externe Player in Syrien und habe dort mehr Einfluss als die USA, sagt sie: “Im Nahen Osten und in Teilen Nordafrikas ist Russland generell sichtbarer geworden und hat Gesprächskanäle aufgebaut, auch wenn das nicht immer gleich auch Einfluss bedeutet.”Wie sehr diese Beziehungen inzwischen Früchte tragen, zeigt sich im Ölsektor. Dort hat die historische Annäherung zwischen Moskau und Saudi-Arabien dazu geführt, dass Russland 2016 zum ersten Mal aktiv an einer Förderkürzung der Opec teilnahm und so mithalf, den Ölpreisverfall zu stoppen. Mehr noch: Moskau hat als Mediator zwischen den teils zerstrittenen Mitgliedern der zuvor immer bedeutungsloseren Opec fungiert.Der durch mehrmalige Förderkürzungen stabilisierte Ölpreis ist wesentlich dafür verantwortlich, dass sich die russische Wirtschaft über Wasser hält. Ihr Anteil an der globalen Wirtschaft geht aber zurück. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 92,09 Bill. Rubel (1,22 Bill. Euro) im Jahr 2017 entspricht etwa 2 % des globalen BIP, während es im Jahr 1913 noch rund 5 % waren, wie der Ökonom Wladislaw Inosemzew vorrechnet. Um dies zu kompensieren, seien die Militärausgaben zwischen 2000 und 2015 nominal um das 15,6-Fache gestiegen, so dass sie 2016 4,9 % des BIP betrugen – was in den westlichen Industriestaaten nur von Israel übertroffen werde. Die Zugehörigkeit zu einem starken Staat sei eine Droge aus der Sowjetzeit, um diverse Niederlagen zu kompensieren, meint Ex-Finanzminister Alexej Kudrin, nun Chef des russischen Rechnungshofes. Rote Linie gezogenNötig war die militärische Stärke nicht nur in Syrien, sondern auch bei der Intervention in der Ostukraine. Dort sei es Moskau immerhin gelungen, “eine rote Linie gegen die Nato-Osterweiterung zu ziehen”, sagt Klein. Lukjanow kritisiert allerdings, dass keiner wisse, wie Russland aus der ostukrainischen Sackgasse herauskommen solle. Und auch die dominante Position in Syrien bedeute noch nicht, dass Russland die Lösung für die dortige Situation habe: “Putin hat international einiges erreicht”, sagt Lukjanow: “Aber was nun weiter?”