Russlands Wirtschaftsbande mit der Türkei in Gefahr

Seit 2004 verfolgen beide Länder ambitionierte Ziele

Russlands Wirtschaftsbande mit der Türkei in Gefahr

Von Eduard Steiner, MoskauGerade mal elf Jahre ist es her, dass Kremlchef Wladimir Putin als erster russischer Präsident die Türkei besuchte. Eines der Hauptmotive war wirtschaftlicher Natur: Eine engere Zusammenarbeit bei Energie und Rüstung sollte entstehen. Geplant, getan. Heute sind beide Staaten eng verwobene Handelspartner mit einem Warenaustausch von 31 Mrd. Dollar im Vorjahr, der bis 2020 auf 100 Mrd. Dollar steigen sollte, wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Ende 2014 nach seinem Treffen mit Putin erklärte. Laut amtlicher türkischer Statistik ist Russland der größte Warenlieferant der Türkei.Seit dem gestrigen Abschuss eines russischen Kampfflugzeuges steht das mittelfristige Ziel beim Handelsvolumen freilich in Frage. “Wenn Russland einen solchen Freund wie die Türkei verliert”, hatte Erdogan schon im Oktober anlässlich zweier Luftraumverletzungen gewarnt, “verliert es viel. Und Moskau soll sich dessen bewusst sein.” Man könne nämlich Gas auch woanders zukaufen, und auch das erste türkische Atomkraftwerk Akkuyu, das die Russen bauen und in das sie schon 3 Mrd. Dollar investiert haben, könnte laut Erdogan jemand anders errichten.In der Tat steht viel auf dem Spiel, schließlich deckt die Türkei 60 % ihres Gas- und 35 % ihres Ölbedarfs durch Importe aus Russland. Inzwischen ist die Türkei zu Gazproms zweitgrößtem Gaskunden hinter Deutschland aufgestiegen. 25 Mrd. Dollar haben die Türken 2014 den russischen Exportfirmen überwiesen. Vor allem der private russische Ölkonzern Lukoil verdient neben Gazprom mit seinem Tankstellennetz am Bosporus gut und plant, 3 Mrd. Dollar in Raffinerien dort zu investieren. Aber auch jenseits des Rohstoffsektors sind die Russen aktiv. So hat die staatliche Sberbank vor drei Jahren die neuntgrößte türkische Bank Deniz für 3,5 Mrd. Dollar gekauft. Und russische Magnaten sind Großaktionäre beim türkischen Mobilfunkanbieter Turkcell. Wichtige Projekte stockenDass die Türken selber mit ihrem Warenexport nach Russland nur eine bescheidene Differenz zum Handelsvolumen verdient haben, ist kein bilaterales Spezifikum. Die Türkei leidet traditionell unter einem riesigen Handelsbilanzdefizit. Trotz zuletzt rückläufiger Exportvolumina gehört Russland aber zu den wichtigsten Märkten der Türkei. Neben Textilien, Agrarprodukten und Baudienstleistungen sind es die touristischen Dienstleistungen. Bis zum Vorjahr sind die Russen zur zweitgrößten Tourismusgruppe hinter den Deutschen aufgestiegen. Erst mit der Abwertung des Rubel brachen sie 2015 als Einnahmequelle weg.War dieser Schlag noch finanziell bedingt, so zeichnen sich inzwischen Schläge für Russland ab, die bereits auf die geopolitischen Verwerfungen wegen Syrien zurückzuführen sind. Ende Oktober hat der staatliche türkische Gaskonzern Botas die internationale Handelskammer angerufen, weil Gazprom versprochene Rabatte nicht eingehalten habe. Und beim Bau der geplanten Gaspipeline Turkish Stream kommt man trotz nach unten korrigierter Leitungskapazität nicht voran. Das Zwischenregierungsabkommen steht aus, weshalb die Inbetriebnahme des ersten Stranges um ein Jahr auf Ende 2017 verzögert werden dürfte. “Nicht schlimm”, meint Gazprom-Vizechef Alexandr Medwedjew.