GASTBEITRAG

Schafft die Notenbanken ab!

Börsen-Zeitung, 14.5.2013 Das in der Geldpolitik herrschende Durcheinander und der durch geldpolitische Maßnahmen angerichtete volkswirtschaftliche Schaden sind mittlerweile so groß, dass eine Rückkehr zu den ursprünglichen Zielen und eine Behebung...

Schafft die Notenbanken ab!

Das in der Geldpolitik herrschende Durcheinander und der durch geldpolitische Maßnahmen angerichtete volkswirtschaftliche Schaden sind mittlerweile so groß, dass eine Rückkehr zu den ursprünglichen Zielen und eine Behebung des Schadens nicht mehr vorstellbar sind. Die Konzeptionslosigkeit der Geldpolitik und die daraus resultierende Beliebigkeit von geldpolitischen Maßnahmen führten in nahezu allen westlichen Industriestaaten zur Unterordnung der Geldpolitik unter eine dauerhaft expansive Wirtschaftspolitik der Staaten. Es mehren sich jedoch nun die Erkenntnisse und Stimmen, dass die wirklichen Ursachen der Krise nicht in einer immanenten Instabilität der Wettbewerbsmärkte liegen, sondern im Verhalten der Staaten selbst. Die Ursachen liegen in- zu vielen Schulden. Die dauerhafte Defizitpolitik der westlichen Industriestaaten zur vermeintlichen Wachstumsförderung führte zum dramatischen Anstieg der öffentlichen Verschuldung.- zu viel Geld. Die Unterstützung der expansiven Finanzpolitik durch die Politik des “leichten Geldes” brachte einen immensen Geldüberhang.- zu viel außenwirtschaftlichem Ungleichgewicht. Die weltweit expansive Wirtschaftspolitik ließ die globale Nachfrage stark steigen, was auch den Niedriglohnländern innerhalb kürzester Zeit hohe Exportüberschüsse ermöglichte.- zu wenig Ordnung. Die Rolle des Staates als Gesetz- und Rahmengeber für allgemein als wünschenswert angesehene Wettbewerbsmärkte wurde dem Paradigma der “Deregulierung” geopfert.- zu viel Ungleichheit. Es lässt sich in diesem Umfeld der “Wachstumspolitik um jeden Preis” feststellen, dass die Staaten auch nicht nur eine stärkere Ungleichheit bei Vermögens- und Einkommensverteilung hingenommen, sondern diese durch entsprechende Steuerpolitik bzw. bewusst nicht vorgenommene steuerliche Regelungen sogar gefördert haben.Diese seit fast drei Jahrzehnten anhaltenden Entwicklungen haben in ihrem Zusammenwirken zu einem nie dagewesenen Ungleichgewicht in der Weltwirtschaft geführt. 2007/ 2008 haben die Finanzmärkte diese Bewegung weg vom wirtschaftlichen Gleichgewicht erkannt und die darin steckenden Risiken neu bewertet. Dies hat wegen des damals schon erreichten Ausmaßes der Ungleichgewichte zu drastischen Wertveränderungen in den einzelnen Assetklassen geführt und Marktteilnehmer, die Risiken über ihrer Risikotragfähigkeit eingegangen waren, in die Insolvenz oder die “staatliche Rettung” getrieben. Selbstaufgabe der GeldpolitikDa die Politik das Paradigma der Wachstumspolitik nicht aufgeben will, wird nicht auf der Basis der ökonomischen Erkenntnis agiert, dass die Rückkehr zu gleichgewichtigen Entwicklungen in der Zukunft von uns allen in Form von Wohlstandsverlusten bezahlt werden muss, sondern die schmerzhaften Anpassungen sollen durch Transferzahlungen noch weiter in die Zukunft verlagert werden.Die Forderung nach der Abschaffung der Notenbanken überrascht möglicherweise gerade in dem Moment, in dem die Notenbanken den Zusammenbruch der Finanzmärkte vermeintlich verhindert haben. Eine sorgfältige Ursachenanalyse zeigt ein anderes Bild:- Die Begleitung einer dauerhaft expansiven Wirtschaftspolitik nach dem Wachstumsparadigma durch die Notenbanken hat schon früh begonnen. Dies geschah in kleinen Schritten über die Zeit und unmerklich. Man beachtete die einfache Regel nicht mehr, das Geldmengenwachstum über die Jahre am Wachstum der Realwirtschaft zu orientieren. Heute beklagt man das ungezügelte Wachstum der Finanzmärkte, deren Volumen das Vielfache der Realwirtschaft beträgt, und die Ursache der viel zu expansiven Geldpolitik wird unterschlagen.- Dazu gehörte auch die allmähliche Aufweichung der Qualitätskriterien für den Ankauf von Vermögenswerten, wodurch die Notenbank der Volkswirtschaft Zentralbankgeld zur Verfügung stellt. Die Grenze zur Budgetfinanzierung des Staates ist längst überschritten; das wird mit juristischen Feinheiten wegargumentiert. Auch die Vergabe von Notkrediten der Notenbanken untereinander im Rahmen des Zahlungssaldenausgleichs hat sich von den Prinzipien einer transparenten Geldpolitik, die Notenbankaktionen für jeden Wirtschaftsteilnehmer kalkulierbar machen soll, weit entfernt.- Weiterhin haben die Vertreter der Geldtheorie und Geldpolitik mit dem System der nationalen Notenbanken in einer Währungsunion die Fehlkonstruktion eines Systems mitgetragen, das über den ungesteuerten Zahlungssaldenausgleich zwischen den nationalen Notenbanken den ansonsten über die Zeit wirksamen Anpassungsmechanismus von Wechselkursveränderungen außer Kraft setzt und jetzt zu politisch gefährlichen Diskussionen notwendiger Anpassungsprozesse führt.- Auch wenn die gesetzlichen Zielvorgaben für die amerikanische und die europäische Notenbank in ihrer Ausrichtung auf die Preisstabilität unterschiedlich sind, so muss eine Notenbank doch prioritär auf die Sicherung der Preisstabilität und insbesondere auf das Vermeiden von ungleichgewichtigen Entwicklungen ausgerichtet bleiben. Ein Abweichen von dieser Zielsetzung wird am Ende eine Notenbank zwingen, als Lender of Last Resort auftreten zu müssen. Eigentlich musste den Notenbanken klar sein, dass nach dem altbekannten Krisenmuster die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit des Bankensektors als das entscheidende Überlebenskriterium hervortritt und sie schnell in Zugzwang bringt. In einer solchen Zwangslage ist jeglicher Handlungsspielraum aufgegeben und verloren.- Die Notenbanken haben in den letzten drei Jahrzehnten die Unabhängigkeit von der übrigen Wirtschaftspolitik aufgegeben – oder mussten sie aufgeben. Sie wurden – wie die zu einem deutlichen Geldüberhang führende Geldpolitik zeigt – Teil der expansiven Wirtschaftspolitik der Staaten. Zusammen haben Finanz- und Geldpolitik und übrige Wirtschaftspolitik in dem oben verstandenen Sinne die Krise herbeigeführt. In der FalleStatt für stabile Verhältnisse an den internationalen Geld- und Kapitalmärkten zu sorgen, stürzt die Politik der westlichen Notenbanken diese ins Chaos. Die Folgen der “grauen” Staatsschuldenfinanzierung durch Zentralbankgeld und damit die Verschleppung der Rückführung der Staatsverschuldung, der grenzen- und maßstablosen Zurverfügungstellung von Zentralbankgeld und der Außerkraftsetzung der Steuerungsfunktionen des Zinses als Preis für Geld und Kapital sind unabsehbar. Bei einer zukünftig zu erwartenden Neubewertung der Risiken werden die Märkte wieder eine schockartige Anpassung vornehmen, zahlreiche Marktteilnehmer werden dadurch wieder in Schwierigkeiten geraten.Wie dramatisch die Situation mittlerweile ist, zeigt sich auch daran, dass eine reale Wertaufbewahrung – also eine positive Verzinsung nach Abzug der Geldentwertung – unmöglich ist und auch für längere Zeit unmöglich bleiben wird. Dies gefährdet all diejenigen, die bisher diese volkswirtschaftliche Funktion als Institutionen wahrgenommen haben: Banken und Versicherungen.Eine Wiedererlangung der selbst von einem ehemaligen Chefvolkswirt der EZB beklagten “verlorenen Unabhängigkeit” wird in der gegenwärtigen institutionellen Verfasstheit der Geldpolitik nicht möglich sein. Außerdem wird ein Notenbankgremium, das mit prominenten Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft gemäß politischen Vorschlägen besetzt wird und unter dem Rubrum der Unabhängigkeit ein prall gefülltes Arsenal an komplexen und teilweise intransparenten geldpolitischen Instrumenten einsetzen kann, sich nicht selber in Frage stellen. Eine radikale LösungWeiterhin ist die Wirksamkeit der Maßnahmen wegen der “Multizielsetzung” (Zinsziele, Liquiditätsversorgungsziele, Arbeitslosenquotenziele, Inflationsratenziele) mittlerweile nicht wirklich überprüfbar, und die demokratisch legitimierte Kontrolle wird mit dem Hinweis auf die weiterhin vertretene Unabhängigkeit kaum möglich sein.Ein systemimmanentes Kurieren an Symptomen wird die Falle, in der die Notenbanken sitzen, und die durch die bisherige Geldpolitik geschaffenen Probleme nicht beseitigen.Um in Zukunft die Basis für die Rückkehr zu einer am Ziel der Geldwertsicherung und der Schaffung stabiler Verhältnisse an den Geld- und Kapitalmärkten orientierten Geldpolitik zu schaffen, muss eine radikale Umorientierung vorgenommen werden. Eine neue “Geldpolitik 2.0” wird auf den Widerstand all derjenigen treffen, die an dem Erhalt des gegenwärtigen Zustandes interessiert sind, und von daher nur schwer umsetzbar sein. Thesen für eine Geldpolitik ohne Notenbanken:- Abschaffung der Notenbanken als institutionalisierte Umsetzung der Geldpolitik.- Übergang zu einem neuen geldpolitischen Paradigma, in dem die Versorgung der Volkswirtschaft mit Zahlungsmitteln im Hinblick auf eine bestimmte realwirtschaftliche Entwicklung und einen als unvermeidlich angesehenen Preisniveauanstieg über die Zentralbankgeldmenge gesteuert wird – eine regelbasierte Geldpolitik! Dies sichert die ja oft geforderte Ausrichtung der Finanzwirtschaft an der Realwirtschaft.- Operativ wird diese Geldpolitik auf Basis der genannten Regel jährlich einmal fixiert und von einer auf diese Aufgabe beschränkten ausführenden Stelle durchgeführt.- Gleichfalls kann diese die operative Geldversorgung des Interbankenmarktes überwachen und ohne Veränderung der Zielgröße technisch bedingte Zentralbankgeldbedarfe des Bankensystems erfüllen.- Die volkswirtschaftlich schädlichen Wirkungen einer überreichlichen Geldversorgung mit ihren Inflationsgefahren werden verhindert, weiterhin die Entstehung von Preisblasen an den Finanzmärkten sowie die Außerkraftsetzung der Steuerungsfunktion des Zinses.- Auch werden erratische Erwartungsreaktionen bzw. tatsächliche Reaktionen auf unerwartete Entscheidungen vermieden, schließlich ist so auch eine notenbankfinanzierte Staatsverschuldung nicht möglich. Keine UtopieGanz so utopisch, wie sie im ersten Moment klingt, muss diese Vision nicht sein, wenn man die Analogie zu den Maastrichtkriterien zieht, die als Regeln für eine stabilitätsorientierte Fiskalpolitik dienen sollten und deren leichtfertige Aufgabe nun beklagt und deren Wiedererreichung angestrebt wird. Eine ernsthaft betriebene regelgebundene Geldversorgung wie vorstehend beschrieben würde eine notwendige und sinnvolle Ergänzung darstellen. Und auch diese regelbasierte Geldpolitik ist keine Utopie, sondern findet sich als Darstellung des “neuen geldpolitischen Konzepts” im Monatsbericht Juli 1974 der Deutschen Bundesbank.—-Johann Rudolf Flesch Partner der Beratungsgesellschaft RISKBalance