Arbeitsmarkt

Scharfe Kritik der Gewerkschaften an moderatem Mindestlohn-Anstieg

Die Mindestlohnkommission hat eine Anhebung des derzeitigen Mindestlohns in zwei Schritten auf 12,82 Euro beschlossen. Erstmals erfolgte der Beschluss nicht im Konsens, sondern unter ausdrücklichen Protest der Arbeitnehmerseite, die sich deutlich mehr versprochen hatte.

Scharfe Kritik der Gewerkschaften an moderatem Mindestlohn-Anstieg

Heftiger Streit über künftigen Mindestlohn

Zweistufige Erhöhung auf 12,82 Euro geplant – Kommission findet keine Konsenslösung – Gewerkschaften unzufrieden

Die Mindestlohnkommission hat eine Anhebung des derzeitigen Mindestlohns in zwei Schritten auf 12,82 Euro beschlossen. Erstmals erfolgte der Beschluss nicht im Konsens, sondern unter ausdrücklichem Protest der Arbeitnehmerseite, die sich deutlich mehr versprochen hatte. Am Ende musste die Vorsitzende entscheiden.

ahe Berlin

Trotz einer Nachtsitzung bis zum frühen Montagmorgen ist es der Mindestlohnkommission erstmals nicht gelungen, einen für alle Seiten tragfähigen Kompromissvorschlag auszuarbeiten. Mit der Stimme der Vorsitzenden Christiane Schönefeld wurde ein Vorschlag dann nach mehr als 13 Stunden Verhandlungen schließlich per Mehrheit und gegen den ausdrücklichen Willen der Arbeitnehmerseite im Gremium durchgesetzt. Dieser sieht zum 1. Januar 2024 zunächst einen Anstieg des gesetzlichen Mindestlohns von 12,00 auf 12,41 Euro brutto je Arbeitsstunde vor. Am 1. Januar 2025 soll dieser dann noch einmal auf 12,82 Euro angehoben werden. "Die Positionen lagen sehr weit auseinander", sagte Schönefeld im Anschluss an die Beratungen in Berlin. Es seien viele Varianten durchgesprochen worden. Jetzt hätten Unternehmen aber zwei Jahre Planungssicherheit.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte an, den Beschluss der Kommission per Verordnung umzusetzen – ungeachtet der Proteste von Gewerkschaftsseite, die in einer Stellungnahme erklärte, der Mindestlohn hätte zumindest auf 13,50 Euro steigen müssen, um den vom Gesetzgeber geforderten Mindestschutz und einen Inflationsausgleich zum Erhalt der Kaufkraft für die untersten Einkommensbezieher zu gewährleisten. DGB-Bundesvorstand und Kommissionsmitglied Stefan Körzell sprach von einem "enormen Reallohnverlust in den nächsten zwei Jahren", der sich auf 7,5 Mrd. Euro summiere.

Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter – ebenfalls Mitglied der Kommission – erklärte hingegen, man sei mit dem nun durchgesetzten Vorschlag der tarifpolitischen, staatspolitischen und wirtschaftspolitischen Verantwortung gerecht geworden. "Der Beschluss liegt oberhalb dessen, was wir als Verhandlungsposition in die Verhandlungen eingeführt haben."

Ökonomen uneins

Zuletzt war der Mindestlohn zum 1. Oktober 2022 von 10,45 Euro auf 12,00 Euro je Stunde angehoben worden. Die Anhebung war per Gesetz verfügt worden, worauf sich die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP in den Koalitionsverhandlungen Ende 2021 verständigt hatte. Die Mindestlohnkommission wurde damals übergangen.

Der jetzige Beschluss der Kommission wird auch von Ökonomen unterschiedlich bewertet. Stefan Kooths, Vizepräsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW), lobte, es sei insgesamt mit Augenmaß auf die gesamtwirtschaftlichen Belange und die politischen Rahmenbedingungen Rücksicht genommen worden. So habe sich die Mindestlohnkommission an der zuletzt erkennbar anziehenden Tariflohnentwicklung und nicht am Durchschnitt der vergangenen zwei Jahre orientiert. DIW-Präsident Marcel Fratzscher verwies hingegen darauf, dass die Beschäftigten im Niedriglohnbereich jetzt den Gürtel enger schnallen müssten. Die Entscheidung unterstreiche einmal mehr, dass die Festlegung des Mindestlohns grundlegender Reformen bedürfe, betonte Fratzscher. Besser sei eine unabhängige Kommission wie etwa in Großbritannien, die auf den ökonomischen und sozialen Nutzen für die Gesellschaft und nicht auf das Aushandeln von Kompromissen ausgerichtet sei.

Es dürfe nicht vergessen werden, dass Löhne nicht nur Einkommen, sondern auch Kosten seien, erklärte der Deutschland-Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Stefan Schneider. Eine weitere kräftige Anhebung hätte angesichts der eingetrübten Konjunktur die Beschäftigungschancen der Mindestlohn-Bezieher wohl verschlechtert. ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski stellte dagegen klar, dass der jetzige moderate Anstieg zu wenig sei, um die gestiegenen Lebenskosten wettzumachen. Er verwies darauf, dass seit Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland die befürchteten negativen Folgen für Wirtschaft und Arbeitsmarkt bislang ausgeblieben seien.

Wertberichtigt Seite 2
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