Schlechte Nachrichten für die Einkommensverteilung
Von Stefan Paravicini, BerlinKünstliche Intelligenz, lernende Maschinen und Big Data sind derzeit in aller Munde, sobald die Rede auf die Digitalisierung von Geschäftsmodellen, von Wertschöpfungsketten und ganzen Wirtschaftszweigen kommt. Damit Europa hier nicht den Anschluss verliert, hat das Bundeswirtschaftsministerium erst vor wenigen Tagen eine neue Initiative für eine europäische Dateninfrastruktur vorgestellt, die es vor allem mittelständischen Unternehmen erleichtern soll, den Einstieg in datengetriebene Geschäftsmodelle zu finden (vgl. BZ vom 30. Oktober).Auch bei der Friedrich-Ebert-Stiftung macht man sich Gedanken über das Thema Digitalisierung. Denn selbst wenn sich der Wirtschaftsstandort Deutschland im digitalen Kapitalismus behaupten sollte, könnten viele Arbeitsplätze zwischen künstlicher Intelligenz und lernenden Maschinen aufgerieben werden, lautet eine Sorge. “Polarisierung auf dem Arbeitsmarkt 4.0 – Gute Arbeit für wenige?”, lautete deshalb die thesenhafte Frage, die die Stiftung als Titel für eine Podiumsdiskussion zum Auftakt ihres Kongresses “Digitaler Kapitalismus” wählte, der nun in Berlin über die Bühne ging.”Die These, dass durch Technologie Massenarbeitslosigkeit entsteht, ist empirisch nicht gedeckt”, hielt der Ökonom Jens Südekum vom Düsseldorf Institute for Competition Economics an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf dem entgegen und verwies auf die Forschung zu den Folgen des Einsatzes von Industrierobotern auf dem Arbeitsmarkt. Langfristig habe die Zahl der Arbeitsplätze in der Industrie zwar abgenommen, eine disruptive Entwicklung habe es aber nicht gegeben. “Das ist erstmal eine gute Nachricht”, sagte Südekum: “Die schlechte Nachricht liegt bei der Einkommensverteilung.”Christian Kellermann, Geschäftsführer des Instituts für Geschichte und Zukunft der Arbeit, teilt im Grundsatz die Einschätzung. Die digitale Ausbauphase gehe in den nächsten Jahren einher mit einem Arbeitskräfterückgang in Deutschland, weshalb Kellermann weiter mit einem starken Markt für Arbeitskraft und einem Fachkräftemangel rechnet. Über die Verteilungswirkung neuer Technologien – vor allem der “Wild Card” künstliche Intelligenz – wisse man noch zu wenig, weshalb der Politikwissenschaftler eine “ganzheitliche Technologiefolgenabschätzung” fordert.”Alles redet nur noch von künstlicher Intelligenz”, stellte auch die Soziologin Sabine Pfeiffer von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg fest. Nach ihrer Einschätzung hat der Mensch mit seinem Erfahrungswissen und der beruflichen Fachlichkeit aber noch längst nicht ausgedient. “Alles, was wir heute unter künstliche Intelligenz diskutieren, sind genauer betrachtet verschiedene Formen elaborierter Statistik”, gab Pfeiffer zu bedenken. Die Ergebnisse würden immer nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit stimmen. “Nur der Mensch kann die Ergebnisse rekontextualisieren”, sagte sie. Das Gegenargument, dass lernende Maschinen heute aus fast unendlichen Datenmengen schöpfen können und daher mit ihren probabilistischen Aussagen immer präziser als der Mensch seien, ließ Pfeiffer ebenfalls nicht gelten. “Je mehr Daten man hat, desto größer ist die Gefahr, dass die gefundenen Zusammenhänge nichts über die echte Welt aussagen.” Der Mensch bleibe weiter nötig. “Das heißt aber nicht, dass der auch da bleibt, weil Unternehmen natürlich jede Gelegenheit zur Rationalisierung nutzen”, sagte Pfeiffer. Disruptive IntelligenzJens Südekum erwartet, dass neue Technologien wie Künstliche Intelligenz in noch größerem Maß als der Einsatz von Industrierobotern zu einem Sinken der Lohnquote führen wird. Denn sie beträfen anders als Industrieroboter auch den gewerkschaftlich weniger gut organisierten Dienstleistungssektor. “Es könnte dort zu disruptiveren Szenarien kommen”, sagte der Ökonom. Um die Folgen für die Einkommensverteilung in Richtung der Kapitaleinkommen abzufedern, schlägt Südekum zum Beispiel die Beteiligung des Staates an Technologiefirmen vor: “Google zu besteuern ist schwer, sich an dem Unternehmen zu beteiligen ist vergleichsweise einfach.”——Friedrich-Ebert-Stiftung denkt über die Zukunft der Arbeit im digitalen Kapitalismus nach.——