Schnell werden nur Katzen geboren
Die Wirtschaftskrise in Russland ist definitiv beim Volk angekommen. Und zwar offensichtlich schon bevor die 2015 einsetzende Rezession in der Landesstatistik ausgewiesen wurde. Erstmals ersichtlich wurde sie offenbar beim Alkoholkonsum. So ist der Alkoholkonsum in den vergangenen fünf Jahren um ein Drittel zurückgegangen, womit auch die Alkoholvergiftungen entsprechend abgenommen hätten, wie der oberste Rausch- und Suchtmittelbeauftragte des Gesundheitsministeriums, Jewgeni Brjun, dieser Tage mitteilte. Er führt diese Entwicklung zum einen auf das zu dieser Zeit erlassene nächtliche Verkaufsverbot für Alkohol zurück und zum anderen darauf, dass die Menschen aufgrund der Wirtschaftskrise einfach weniger Geld hätten und zuallererst einmal beim Alkohol sparen würden.Die Wirkung des Verkaufsverbots scheint immerhin logisch. Schon zur Zeit der Perestroika unter dem letzten Sowjetchef Michail Gorbatschow brachte die als “Trockenes Gesetz” bekannte Reglementierung des Alkoholverkaufs mehr Zurückhaltung beim Rauschmittelkonsum. Brjuns zweites Argument ist hingegen an den Haaren herbeigezogen. Er selbst nämlich warnt, dass eine weitere Verarmung im Land die Leute dazu veranlassen könnte, doch wieder vermehrt zur Flasche zu greifen.Damit es erst gar nicht so weit kommt und die Wirtschaftskrise von einem raschen Wachstum abgelöst wird, soll am heutigen Mittwoch erstmals seit 2013 das Präsidium des sogenannten Wirtschaftsrates tagen. Das Ereignis gilt als Meilenstein für die künftige Wirtschaftspolitik. Nicht zufällig hat Kremlchef Wladimir Putin kürzlich seinen Joker gezogen – den international angesehenen Ex-Finanzminister Alexej Kudrin, der ihm vor gut zehn Jahren den Reservefonds eingerichtet hatte, von dem das Land heute zehrt. Er soll Vorschläge vorbringen, wie man möglichst schnell auf alte Wachstumsraten von 4 % zurückkommt. Aber es wäre nicht Putin, hätte er nicht parallel dazu noch eine andere Expertengruppe beauftragt – und zwar die um seinen eigentlichen Wirtschaftsberater, Andrej Belousow, und um den Chef der neu gegründeten Wirtschaftspartei.Man kann das Ganze als auffällig viele Signale in Richtung Wirtschaft deuten. Putin müsse eben das Wirtschaftslager nach all den katastrophalen Entwicklungen in jüngster Zeit (Rezession, Sanktionen, Attacken der Behörden) irgendwie versöhnen, erklärt ein russischer Großunternehmer.Wie die Versöhnung aussehen wird, ist alles andere als klar. Eigentlich kommen die beiden Expertengruppen mit völlig konträren Zugängen in die heutige Sitzung. Da ist das Lager um Belousow, das nach alter Manier ein weiteres Mal auf staatliche Investitionen und Intervention setzt. Demgegenüber baut Kudrins Mannschaft darauf, dass zuerst das Budgetdefizit und die Inflation gesenkt werden, während in dieser Zeit Strukturreformen in den Bereichen Justiz, Exekutive, Rente und eine Verringerung des Staatsanteils in der Wirtschaft durchgeführt werden. Außerdem will Kudrin den Weg freimachen für jenes Kapital, das in den russischen Privatkonzernen brachliegt und aus Angst vor der hohen Inflation und den politischen Risiken nicht investiert wird.Gerade die Exportfirmen haben ja aufgrund der Rubelabwertung gar kein Liquiditätsproblem. Aber die meisten haben angesichts der völligen Orientierungslosigkeit auf Stand-by geschaltet und warten auf bessere Zeiten. Das weiß auch Belousow, der ähnlich wie Kudrin um das Potenzial der auf den Konten liegenden Milliarden weiß. Belousow steht unter Druck, denn Putin sollte vor den Parlamentswahlen im Herbst eine bessere Wirtschaftsdynamik vorweisen können. Zumindest ab 2018 will Belousow das angepeilte Wachstum von 4 % schaffen.Kudrin hingegen hat bereits signalisiert, dass er von einer schnellen Rückkehr zu hohen Wachstumsraten auf Teufel komm raus nichts hält. Schnell nämlich werden nur die Katzen geboren, sagt man in Russland für “Gut Ding braucht Weile”. Fürs Erste sieht Kudrin das Wachstum auf 1 % beschränkt, wie dieser Tage in russische Medien zu lesen war. Wie dann aus der heutigen Sitzung was werden soll? Das fragen sich die, die sich in Russland überhaupt noch für Politik interessieren, auch.