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Schnelle Entscheidung über Carney-Nachfolge ist gefragt

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 30.4.2019 Der britische Schatzkanzler Philip Hammond wird sich schnell für einen Nachfolger von Mark Carney an der Spitze der Bank of England entscheiden müssen. Sonst könnte es sein, dass der...

Schnelle Entscheidung über Carney-Nachfolge ist gefragt

Von Andreas Hippin, LondonDer britische Schatzkanzler Philip Hammond wird sich schnell für einen Nachfolger von Mark Carney an der Spitze der Bank of England entscheiden müssen. Sonst könnte es sein, dass der Labour-Politiker John McDonnell die Auswahl trifft. Und dann wäre es mit der Unabhängigkeit der Notenbank allen anderslautenden Erklärungen zum Trotz wohl schnell vorbei. Der Name des nächsten Gouverneurs der Notenbank soll eigentlich erst im Oktober verkündet werden. Bis dahin kann in Westminster aber noch viel schiefgehen. Neuwahlen, bei denen Labour den Sieg davontragen würde, sind mittlerweile durchaus denkbar. Für die zahlreichen Wohltaten, die Oppositionsführer Jeremy Corbyn verspricht, müsste er die Gelddruckmaschinen auf Hochtouren laufen lassen. Zudem überschneidet sich der Oktobertermin auf unglückliche Weise mit einem weiteren Höhepunkt der toxischen Brexit-Debatte: dem Ablauf der jüngsten Frist, die Brüssel den Briten für den EU-Austritt gesetzt hat. Je schneller die Nachfolge Carneys also geregelt wird, desto besser.Die Idee von unabhängigen Zentralbanken, die einem Inflationsziel verpflichtet sind, hatte in den neunziger Jahren in vielen Ländern Zulauf gewonnen. Mit der Unabhängigkeit sollen die Zinsentscheidungen vor politisch bestimmten Konjunkturzyklen und dem Druck, Haushaltsdefizite zu finanzieren, geschützt werden. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass mit Gordon Brown ausgerechnet ein Labour-Politiker der “Old Lady of Threadneedle Street” schon nach wenigen Tagen in der Regierungsverantwortung die operative Unabhängigkeit verlieh. Damals war man in der Bank of England noch der Ansicht, dass die Arbeit einer Notenbank so langweilig wie möglich erscheinen sollte, um unnötige Aufregung zu vermeiden. Dann begann die Finanzkrise, und die Finanzstabilität rückte in den Vordergrund. Rasante PolitisierungAls Hammonds Vorgänger George Osborne den Kanadier Mark Carney – eine Art Rockstar unter den Notenbankern – als Nachfolger von Mervyn King verpflichtete, änderte sich die Wahrnehmung der altehrwürdigen Institution. Unter seiner Führung standen Modethemen wie Diversität, Inklusion und der Klimawandel auf der Tagesordnung ganz weit oben. Die Notenbank wurde zunehmend politisiert. Das zeigte sich nicht nur an den Aussagen Carneys gegen den Brexit, die ihm heftige Kritik von seinem Vorgänger einbrachten, der die Ernennung des ehemaligen Goldman-Sachs-Bankers ohnehin als Affront gegen die Kandidaten aus den eigenen Reihen betrachtet hatte. Schon die Äußerungen Carneys zum schottischen Unabhängigkeitsreferendum waren höchst umstritten.Die Neutralität der Notenbank wurde zunehmend in Frage gestellt. Schwerer wiegt allerdings, dass sie unter Carney erheblich an Glaubwürdigkeit verloren hat. Als die von ihm zum Maßstab der Geldpolitik gemachte Arbeitslosigkeit schneller sank als von seinen Volkswirten erwartet, ersetzte sie Carney mit der nicht so leicht dingfest zu machenden Differenz zwischen dem Bruttoinlandsprodukt und dem Produktionspotenzial. Mit seiner “Forward Guidance”, die eigentlich signalisieren sollte, wohin sich die Geldpolitik entwickelt, schickte er die Märkte so oft in die falsche Richtung, dass es ihm den Spitznamen “der unzuverlässige Liebhaber” einbrachte. Die apokalyptischen Prognosen der Notenbank für den Fall eines Votums für den Brexit beim EU-Referendum 2016 trafen nicht ein. Allerdings muss man Carney zugutehalten, dass er am Tag nach der Volksabstimmung auf seinem Posten war, um Schlimmeres zu verhindern, während die politisch Verantwortlichen mehrheitlich abtauchten.Seitdem ist klar, dass es nicht zu Carneys Stärken gehört, Fehler zuzugeben. Die dringend nötigen organisatorischen Reformen bei der Bank of England kommen nur stockend voran. Das National Audit Office (NAO) empfiehlt den Notenbankern mehr Kostenbewusstsein. Zwei Mitglieder des finanzpolitischen Komitees hatten es geschafft, binnen zweieinhalb Jahren Reisekosten von 390 000 Pfund zu verursachen. Im geldpolitischen Komitee (MPC) findet sich mit Silvana Tenreyro gerade einmal eine Frau. Wollte er die ambitionierten Diversitätsziele der Bank erreichen, hätte Carneys Nachfolger viel zu tun.John McDonnell denkt derzeit viel darüber nach, das Mandat der Bank of England dahingehend zu ändern, dass es dem angeblichen “Klimanotstand” Rechnung trägt, auf den die Anhänger von “Extinction Rebellion” in mehrtägigen Protesten in der britischen Metropole hingewiesen haben. Noch kümmert sich die Bank of England in erster Linie darum, die Teuerungsrate so nahe wie möglich bei 2 % zu halten. Zu den möglichen Änderungen, die von Labour sonst noch durchgeboxt werden könnten, gehört ein Ziel von 3 % für das Produktivitätswachstum. Was die von McDonnell angestrebte “Reform der wirtschaftlichen Architektur unseres Landes” auch kosten würde, besser wäre, wenn sich der Marxologe darüber mit einem Notenbankchef auseinandersetzen müsste, den er nicht selbst ernannt hat.