BREXIT

Schnelle Legendenbildung

Die Wahl Boris Johnsons sei ein Sieg der Alten über die Jungen, der Rassisten über die Minderheiten. Die Sparpolitik der Tories habe Tausende das Leben gekostet. Die Medien seien nichts weiter als Sprachrohre der Milliardäre. Britische Muslime...

Schnelle Legendenbildung

Die Wahl Boris Johnsons sei ein Sieg der Alten über die Jungen, der Rassisten über die Minderheiten. Die Sparpolitik der Tories habe Tausende das Leben gekostet. Die Medien seien nichts weiter als Sprachrohre der Milliardäre. Britische Muslime bereiteten sich aus Angst vor Übergriffen darauf vor, das Land zu verlassen.Mit derart wahnhaftem Unsinn bestärkten sich verbitterte Verlierer der britischen Parlamentswahl schon kurz nach Bekanntgabe der Ergebnisse darin, alles richtig gemacht zu haben. Die Legendenbildung setzte schnell ein. Schuld am Durchmarsch der Konservativen seien die Wähler. Sie seien schlichtweg zu dumm, die Lügen der Tories zu erkennen, die ihnen von den Milliardärsmedien vorgesetzt würden. Noch am Freitagabend tobte ein wütender Mob durch Westminster. Dass sich die Randalierer zu Antifaschisten erklärten, war der Gipfel der Peinlichkeit.Demokratie sei die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen, sagte einst Winston Churchill. Dazu sind Wahlverlierer im Ursprungsland der parlamentarischen Demokratie aber schon seit dem EU-Referendum von 2016 nicht mehr bereit. Die Mehrheit der Briten habe für Parteien gestimmt, die in der Staatengemeinschaft bleiben wollen, argumentieren diejenigen, die sich einfach nicht damit abfinden wollen, dass das Vereinigte Königreich den Handelsblock schon bald verlassen wird. Das stimmt zwar nicht, weil Labour nie klar Position in dieser Frage bezogen hatte, verleiht ihnen aber den Anschein demokratischer Legitimation. Die Verlierer des Unabhängigkeitsreferendums in Schottland wollen da nicht länger hintanstehen und fordern eine weitere Volksabstimmung.Eine Aussöhnung der verfeindeten Lager ist so schnell nicht zu erwarten. Darauf ist Johnson aber auch nicht angewiesen. Mit 80 Mandaten Vorsprung vor der Opposition kann er sich so gut wie alles leisten. Die Machtverhältnisse haben sich grundlegend verändert. Johnson kann sich allerdings von Brüssels Verhandlungsführer Michel Barnier nicht in jahrelange Gespräche hineinziehen lassen, um einen möglichst sanften Brexit zu gewährleisten. Das brächte ihm wenig Beifall bei seinen neuen Wählern in Nordengland und in den Midlands. Selbst eine Verlängerung der Übergangsfrist dürfte bei ihnen Unmut hervorrufen. Und schnell wäre eine ganz andere Legendenbildung im Gange, die antidemokratischen Kräften von rechts den Boden bereiten würde.