Scholz erweitert EU-Reformdebatte
Die Einführung einer makroökonomischen Stabilisierungsfunktion steht in der Eurozone aktuell ganz oben auf der Reformagenda. Als Alternative für die bereits diskutierten Vorschläge für einen Schlechtwetterfonds oder eine Investitionsstabilisierung wirbt Olaf Scholz jetzt für eine Arbeitslosenrückversicherung.Von Andreas Heitker, BrüsselIm Vorfeld der entscheidenden Beratungen der EU-Finanzminister und der Staats- und Regierungschefs über eine Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion zeichnet sich immer deutlicher ein Votum für einen neuen Geldtopf ab, über den künftig kleinere Krisen in einzelnen Euro-Staaten abgefedert werden können. Verschiedene Vorschläge für eine solche Fiskalkapazität liegen bereits auf dem Tisch, unter anderem von der EU-Kommission oder dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat die Debatte jetzt mit einem zusätzlichen Vorschlag erweitert: Im “Spiegel” schlug er eine Rückversicherung für die nationalen Arbeitslosenversicherungen in der Eurozone vor. Im Falle stark steigender Arbeitslosigkeit, so der Plan, könne ein Krisenland einen Kredit erhalten, der nach einer Rezession wieder zurückgezahlt werden muss. Auch heute können Euro-Länder in Krisen bereits Kredite vom Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) erhalten – wie in den letzten Jahren auch schon in fünf Fällen geschehen. Immer ging es hier aber um relativ große Krisen, bei denen die Finanzstabilität des Euroraums als Ganzes gefährdet schien. Für asymmetrische Schocks oder kleinere Krisen, in die einzelne Euro-Staaten unverschuldet geraten, gibt es bislang kein geeignetes Instrument auf Gemeinschaftsebene. Die EU-Kommission hatte deshalb 2017 drei unterschiedliche Stabilisierungsfunktionen für die Eurozone zur Debatte gestellt: eine Investitionsschutzregelung, einen “Rainy-Day-Fonds” und eben eine Arbeitslosenrückversicherung. Eine Rückversicherungslösung würde nach Meinung der Kommission jedoch ein gewisses Maß an vorheriger Konvergenz der Arbeitsmarktpolitik und der Arbeitsmarktentwicklung voraussetzen. Die Brüsseler Behörde bevorzugt daher eine Investitionsstabilisierungsfunktion. Allerdings: Auch in den Plänen der EU-Kommission gilt als entscheidender Auslöser für das neue Hilfsprogramm, wenn die Arbeitslosenquote auf nationaler Ebene signifikant über ihren langfristigen Durchschnitt steigt. Auf ähnlichem Prinzip basiert auch ein Krisenfonds, den eine namhafte deutsch-französische Ökonomengruppe im Januar zur Stabilisierung der Eurozone vorgeschlagen hatte: Auch hier sind Beschäftigungs- und Arbeitslosenziffern eines Krisenlandes entscheidend für die Inanspruchnahme von Geldern.Für Finanzminister Scholz würde über eine Arbeitslosenrückversicherung die finanzielle Stabilität des Gesamtsystems gestärkt, ohne dass es zu einer Schuldenvergemeinschaftung käme oder Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit angetastet würden. Der CDU-Wirtschaftsrat ist dagegen der Ansicht, eine solche Versicherung verleite nur zu einer “Freibier-für-alle-Politik”: Es gebe dann eine höhere Arbeitslosenhilfe, auf die länger Anspruch bestehe – und dafür zahle die EU. Dies verleite zum Konservieren alter Strukturen und führe damit “schnurstracks in die Massenarbeitslosigkeit”.Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte jüngst ja schon neue Geldtöpfe zur Stabilisierung der Eurozone zur Diskussion gestellt. Dabei ging es um kurzfristige Kreditlinien des ESM und um einen “Investivhaushalt”. Inwieweit diese Vorschläge mit der Arbeitslosenrückversicherung von Olaf Scholz kompatibel sind, ist nur eine der vielen ungeklärten Fragen in der Reformdebatte.