IM BLICKFELD

Schottlands große Abhängigkeit von der ungeliebten Union

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 14.8.2019 Schottland hat vor gerade einmal fünf Jahren die Frage, ob es ein unabhängiges Land werden will, mit einem klaren Nein beantwortet. In einer Volksabstimmung sprachen sich 55,3 % für den Verbleib...

Schottlands große Abhängigkeit von der ungeliebten Union

Von Andreas Hippin, LondonSchottland hat vor gerade einmal fünf Jahren die Frage, ob es ein unabhängiges Land werden will, mit einem klaren Nein beantwortet. In einer Volksabstimmung sprachen sich 55,3 % für den Verbleib im Vereinigten Königreich aus. Die Wahlbeteiligung hatte bei 85 % gelegen. Man kann es den schottischen Nationalisten angesichts der kläglichen Ergebnisse, die sie als Ergebnis ihrer Regierungstätigkeit in Holyrood vorzuweisen haben, nicht verdenken, dass sie den britischen EU-Austritt zum Anlass nehmen, ein weiteres Referendum auf die Tagesordnung zu setzen. Immerhin hatten 2016 in Alba 62 % gegen den Brexit gestimmt. Ob das ausreicht, in einem weiteren Anlauf eine Mehrheit für die Loslösung von Restbritannien zu bekommen, ist fraglich.Nach dem Antrittsbesuch von Premierminister Boris Johnson in Schottland sagten 52 % der Teilnehmer einer Ashcroft-Umfrage, dass sie bei einem erneuten Unabhängigkeitsreferendum für den Ausstieg aus dem Vereinigten Königreich stimmen würden. Der Abstand zu den Gegnern eines nationalen Alleingangs dürfte der SNP-Führerin Nicola Sturgeon noch zu klein sein, um bereits einen Termin für die nächste Volksabstimmung anzusetzen. Knapp die Hälfte der Befragten hatte sich für ein weiteres Referendum innerhalb von zwei Jahren ausgesprochen. John McDonnell, der im Falle eines Labour-Wahlsieges Schatzkanzler würde, kündigte in Edinburgh an, dass sich seine Partei einem erneuten Votum nicht in den Weg stellen würde. Ähnliche Motive Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass hinter dem schottischen Streben nach nationaler Selbstbestimmung ähnliche Motivationen stecken wie hinter dem Wunsch vieler Briten, die EU zu verlassen: Unzufriedenheit mit dem Status quo, für den externe Mächte verantwortlich gemacht werden, und der Wunsch nach Kontrolle über das eigene Leben. Die Idee vom “Europa der Regionen” ermutigte Separatisten auch anderenorts. Betrachtet man die wirtschaftliche Realität, wäre ein Verlassen der mehr als 300 Jahre währenden Union für die Schotten ähnlich schmerzhaft wie für Nordirland, wenn nicht schlimmer. Die in der Finanzkrise vom britischen Steuerzahler geretteten Großbanken Lloyds Banking Group und Royal Bank of Scotland (RBS) kündigten vor dem Referendum 2014 für den Fall eines Ja an, ihren Sitz nach England zu verlegen. Große Unternehmen wie die Ölkonzerne BP und Shell sprachen sich gegen eine Unabhängigkeit Schottlands aus. Die Kampagne der Regierung in Westminster ähnelte der Kampagne gegen den EU-Austritt.Die EU braucht nichts weniger als einen hoch verschuldeten Ölstaat als Neumitglied. Das zwischen London und Edinburgh umstrittene Öl und Gas vom britischen Kontinentalschelf herausgerechnet, gehen drei Fünftel der schottischen Exporte nach Großbritannien, weniger als ein Fünftel in die Staatengemeinschaft. Sieht man sich an, was Alba über die britischen Landesgrenzen hinaus verkauft, ist es in erster Linie Whisky (siehe Grafik). Im Geschäft mit Restbritannien geht es dagegen um vergleichsweise hochwertige Finanzdienstleistungen. Die schottische Wirtschaft wächst bereits langsamer als der Landesdurchschnitt. Man will sich nicht vorstellen, welchen Schock die Errichtung einer Landgrenze zwischen Schottland und England und die unvermeidliche Einführung einer eigenen Währung für die Wirtschaft des neuen Kleinstaats bedeuten würden. Nun ist Identitätspolitik weltweit auf dem Vormarsch. Man darf davon ausgehen, dass die Schotten auf Grundlage schnöder ökonomischer Erwägungen abstimmen werden, sollten sie eine erneute Chance bekommen.Québec entschied sich vor mehr als zwei Jahrzehnten mit hauchdünner Mehrheit gegen die Unabhängigkeit. Das Referendum in der französischsprachigen kanadischen Provinz ist einer der historischen Präzedenzfälle, die mit Blick auf Schottland gerne herangezogen werden. Die Geschichte zeigt, dass sich die Befragten in Referenden zumeist für den Status quo entscheiden, so auch auf Puerto Rico 2012. Die Citigroup nahm vor der ersten schottischen Volksabstimmung europäische und nordamerikanische Unabhängigkeitsvoten seit 1944 unter die Lupe und kam zu dem Ergebnis, dass nur 3 von 14 Abstimmungen positiv für die Befürworter ausgingen. In den Meinungsumfragen hatten die Befürworter einer Abspaltung von Québec vorn gelegen. Die kanadische Provinz ist auch ein Beispiel dafür, dass es mit einem Referendum nicht getan sein muss. Nachdem sich die separatistische Parti Québécois 1994 bei den Wahlen durchgesetzt hatte, setzte sie ein Jahr später das zweite Referendum über die Unabhängigkeit an – 15 Jahre nachdem sich die Bevölkerung 60:40 gegen die nationale Souveränität entschieden hatte. In Québec war vor dem Referendum ein unterdurchschnittliches Wachstum der Bankeinlagen zu beobachten. Nach dem knappen Votum gegen die Unabhängigkeit 1995 blieb die Provinz lange Jahre hinter dem Wachstum anderenorts in Kanada zurück.