Schweizer wollen keine Experimente
Die Schweizer stimmen am Sonntag über die Einführung von Vollgeld ab. Der radikale Vorschlag zur Reform des Geldsystems ist wohl zum Scheitern verurteilt. Diese und andere Ideen aber dürften auch bei einem Nein nicht völlig vom Tisch sein – denn längst ist eine breitere Debatte entbrannt über das Geldsystem. Von Daniel Zulauf, ZürichDie Spatzen pfeifen es längst von den Dächern: Wenn die Eidgenossen am Sonntag an der Urne für oder gegen einen radikalen Wechsel ihres Geldsystems abstimmen, dann wird die Antwort einer großen Mehrheit “Nein” lauten. Dabei kommt das Anliegen der Initiatoren doch so verlockend daher. “Wollen Sie die Volksinitiative ,Für krisensicheres Geld: Geldschöpfung allein durch die Nationalbank! (Vollgeld-Initiative)` annehmen?” Krisensicheres Geld? Wer will denn dagegen noch etwas einwenden? Den letzten Meinungsumfragen zufolge dürfte das Volk dieses Begehren aber dennoch mit rund zwei Dritteln der Stimmen ablehnen. Mit ähnlichen Werten entledigten sich Herr und Frau Schweizer in den vergangenen Jahren auch anderer Ideen für groß angelegte wirtschaftspolitische Feldversuche. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens scheiterte 2013 mit einem Nein-Stimmen-Anteil von 67 %. Im gleichen Jahr ging auch die Initiative “Rettet unser Schweizer Gold” mit einer Ablehnungsquote von 77 % unter. 170 Jahre direkte Demokratie haben die Eidgenossen größte Vorsicht mit radikalen Richtungswechseln gelehrt. Darüber können auch verschiedene überraschende Abstimmungsergebnisse nicht hinwegtäuschen, von denen einige in den vergangenen Jahren auch international für Aufsehen gesorgt hatten. Es waren Entscheidungen, für die der Zeitpunkt einfach reif gewesen war. Dies ist beim Vollgeld nicht der Fall. Kaum ein industrialisiertes und vermögendes Land ist derzeit bereit für einen derartigen Systemwechsel. Umso größer ist das ausländische Interesse am Schweizer Urnengang. Im wissenschaftlichen Beirat der Initiatoren sind Nichtschweizer prominent vertreten. Und auch der für die Kampagne zuständige Verein “Momo” (Monetäre Modernisierung) unterhält internationale Verbindungen. Auf die von Politikern und Vollgeld-Gegnern geäußerten Vermutungen, die Initiative sei mit ausländischer Hilfe auf die Beine gebracht worden, reagieren die Initiatoren unwirsch. Vollgeld sei eine ur-schweizerische Erfindung. Aufgeheizte StimmungIn jedem Fall übt das helvetische Experiment auf Beobachter aus Ländern mit großen Finanzplätzen eine besondere Anziehung aus. “Why the Swiss should vote for ,Vollgeld'”, titelte die “Financial Times” (FT) diese Woche. Unter Verweis auf den verbissenen Wettbewerb unter den Finanzplätzen äußerte die “Neue Zürcher Zeitung” die Vermutung, die Empfehlung der FT würde wohl anders ausfallen, wenn die Vollgeldreform in Großbritannien zur Debatte stünde. Fest steht, dass im Abstimmungskampf vor allem die Schlagwörter und weniger die guten Argumente dominierten. Symptomatisch für die aufgeheizte Stimmung war eine Diskussionssendung im Schweizer Fernsehen, in der Finanzminister Ueli Maurer erklärte, in den vergangenen 100 Jahren habe noch niemand bei einer Schweizer Bank sein Geld verloren. Der Magistrat unterschlug damit die Pleite der kleinen Spar- und Leihkasse Thun im Jahr 1991. Doch auch die Initiatoren spielten nicht immer mit offenen Karten. Unter den Befürwortern gibt es nicht nur jene, die die Sicherheit des Bankensystems im Auge haben. Es gibt auch Kreise, die sich vom Systemwechsel eine Eindämmung des ihrer Ansicht nach ungesunden und nicht nachhaltigen Wirtschaftswachstums erhoffen. Dass dies in einem Abstimmungskampf kein mehrheitsfähiges Argument ist, versteht sich von selbst. Eine Mehrheit der Schweizer Abstimmungsberechtigten dürfte die Finten der Kontrahenten im Abstimmungskampf zwar nicht im Detail durchschaut haben. Klar wurde aber, dass vieles nicht gesagt wurde, was hätte gesagt werden müssen. Und in solchen Situationen entscheiden sich die Eidgenossen immer für die Beibehaltung des Status quo.